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Eine Einführung in die Musik Lloyds von Stephen Plaistow

Jonathan Lloyd ist nie darauf bedacht gewesen, sich von seinen Zeitgenossen zu distanzieren, doch kennt man seit langem seine Neigung, eigene Wege zu gehen. Er ist der am wenigsten regional gebundene unter den britischen Komponisten, und seine Welt hat keine ersichtlichen Grenzen bezüglich Nationalität und Kultur. Man kann ihn einen Einzelgänger nennen, aber er ist keine unnahbare Gestalt und gewiß kein Außenseiter. Er hat für das BBC Symphony und das London Philharmonic Orchestra komponiert, für die London Sinfonietta, die Birmingham Contemporary Music Group sowie für Gesangs- und Instrumentalensembles im ganzen Land, und war, unabhängig vom Niveau musikalischer Gemeinschaften stets daran interessiert, auf die Begabungen und Vorlieben der Interpreten einzugehen, welche ihn um Kompositionen baten.

Er hat eine strenge Ausbildung genossen, aber dennoch recht früh einen Weg gefunden, intuitiv zu komponieren, scheinbar ohne Anhaltspunkte, um danach seine Methode zu entwickeln, oder Systeme, um daraus Töne zu erzeugen, und sein Schaffen wird zunehmend durch seine eigene Sprache geprägt. Zwar umfassen die Traditionen der Moderne und Postmoderne seit langem aus der populären Musik entlehnte Elemente, aber bei Lloyd gehen die Kontraste und Inkongruenzen ungewöhnlich tief. Wie Hugo Cole [in Tempo Nr.164, März 1988] festgestellt hat: "Wenn Lloyd Instrumente aus der populären Musik einsetzt, schmuggelt er sie nicht verstohlen oder schüchtern ins Ensemble ein ... sie kündigen sich selbst als Besucher von anderen Welten an [und] stellen die Werte der traditionellen, für den Konzertsaal gedachten Instrumente in Frage."

Vor beinahe zwanzig Jahren kam es einmal bei einer Aufführung von Everything Returns dazu, daß der Einbeziehen einer Rockgruppe Empörung auslöste. Und selbst heute, da mancher behaupten würde, alles sei machbar, kann Lloyds Verarbeitung populärer Melodien noch verblüffen: You are my sunshine, ein amerikanischer Schlager der vierziger Jahre, erscheint in der Zweiten Sinfonie nicht nur als Störfaktor sondern als Eindringling. Populäre Verweise fungieren als Bestandteil von Lloyds Stil, werden ohne Anführungszeichen eingesetzt. Und dennoch fragen wir uns, wo wir sind, wenn er wieder einmal Schocktaktiken anwendet: Handelt es sich um Realität oder Einbildung? Es ist besonders kennzeichnend für Lloyds Musik, daß sie Beckett-artig im Schwebezustand verharrt und uns warten läßt, zermürbt von unserer Umgebung und unsicher, ob ein Ziel erreicht oder überhaupt ein Ausweg gefunden werden kann.

Es ist Musik, die manchmal von anderer Musik handelt, koboldhaft und ungehemmt ist und zur Reaktion auf das Hier und Jetzt auffordert. Immer jedoch ist sie zielgerichtet, sei es als Montage von Hirngespinsten, als Einbildung, Zeremonie, Meditation, halbszenischer Ablauf oder Spiel mit Klangzellen und Motiven. Eine für Lloyd typische Reise ist eine, auf der das Ziel winkt, aber wir froh sind, immer wieder kehrtzumachen, uns neu zu gruppieren und auf Dinge zu stoßen, denen wir schon einmal begegnet sind. Wir lauschen von Augenblick zu Augenblick und erkennen, daß Diskurs in Erzählform übergehen kann, daß aus vielen kleinen, grundverschiedenen Dingen etwas Großes entstehen kann und daß Wiederholung ein wichtiges Element der Formgebung ist. Janácek hätte in Lloyd möglicherweise den Gleichgesinnten erkannt. In einem bewundernden Kommentar zur Messe für Chor und der zugehörigen Zweiten Sinfonie erwähnt Robin Holloway einen anderen Meister des zwanzigsten Jahrhunderts: "Die Fähigkeit, aus wenigen unvergeßlichen Phrasen das Äußerste herauszuholen, kann, wie Strawinski gewußt hat, sowohl Tiefgründigkeit als auch Gelächter hervorrufen."

Zu Beginn seines sechsten Lebensjahrzehnts können die fünf Sinfonien zusammen mit Tolerance (das tatsächlich ein Konzert für Orchester ist) als das Kernstück von Lloyds Schaffen betrachtet werden. Es ist schwer erkämpft, vor allem da, wo seine Musik die Förmlichkeiten und ökonomischen Gegebenheiten des traditionellen Konzertbetriebs herausforderte. Aber er hat uns, indem er Erhabenes und Volkstümliches, Kooperatives und Anarchisches auf ungewohnte Art zusammenführt, häufig einen neuen Ansatz zum musikalischen Diskurs geliefert. Er besitzt kein Markenzeichen, doch wir erkennen ihn augenblicklich, und darum ist es an der Zeit, noch umfangreicher darauf aufmerksam zu machen, wie sich Vielschichtigkeit und Reichtum seines Schaffens vergrößern.

Stephen Plaistow, 1998

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