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Eine Einführung in die Musik Góreckis von Adrian Thomas

Henryk Mikolaj Górecki entstammt jener Generation polnischer Komponisten (der auch sein Altersgenosse Penderecki angehört), die das politische Tauwetter der post-stalinistischen Ära Mitte der fünfziger Jahre voll zu nutzen wussten. Seinen frühen Werken von 1955-59, voll überschäumender und dynamischer Vitalität, wie Songs of Joy and Rhythm op.7 (1956, rev.1960), folgten Werke, die in ihrem experimentellen Charakter eher an Webern und Boulez anklingen. Seitdem läßt sich die Entwicklung von Góreckis musikalischer Sprache mit seiner Suche nach dem besten Ausdrucksmittel zur Wiedergabe seiner musikalischen Wurzeln gleichsetzen.

Welch ausschlaggebende Rolle die musikalische Vergangenheit, die Kirche und das Brauchtum Polens bei Górecki spielen, ist sofort offensichtlich. Für ihn sind sie der Fels, auf dem seine Identität und die Identität seines Landes und dessen Erbe fest verankert sind. Von der feurig brillanten Energie seiner orchestralen Scontri (Kollisionen) op.17 (1960) über die reflektive Wehklage seines bekanntesten Werkes, der Dritten Symphonie op.36 (1976), bis zu seinen jüngsten kammermusikalischen Werken, wie dem Streichquartett Already it is Dusk op.62 (1988) und dem Stück in memoriam Michael Vyner Good Night (1990), ist es dieses zutiefst empfundene Bewußtsein seiner Wurzeln, die seinen Werken ihre Unmittelbarkeit und ihre emotionale Wirkung verleiht.

Zur Schaffung dieser seiner eigenen Welt stützt sich Górecki auf mehrere Quellen. Die volkstümlichen und religiösen Elemente finden sowohl in abstrakter Form (granitische Strukturen, großflächige Gemälde, langsame Tempi) als auch in spezifischer (Volkslieder und Texte, vor allem aus seiner geliebten Tatra, modaler Hymnodie und Anklänge an alte, polnische Melodien) ihren Niederschlag. In der Vergangenheit waren diese Elemente oft nicht mehr erkennbar, aber in den 70er Jahren gewann Górecki Vertrauen in ihre unmittelbare Einfachheit und beließ sie immer mehr in ihrer ursprünglichen Form, wie dies auch aus seinen Volksliedervertonungen und Marienhymnen jüngeren Datums ersichtlich ist. Hin und wieder lehnt er sich auch in Phrasen oder harmonischen Fortschreitungen an Komponisten wie Beethoven, Chopin oder Szymanowski an, die ihm besonders nahestehen. Derartige Anlehnungen oder Zitate werden dann zu einem festen Bestandteil des musikalischen Flusses, der persönlichen Vision, die Góreckis Stimme unter seinen Zeitgenossen und Landsleuten individuell hervorhebt.

Die Zurückhaltung, die er seinem Material entgegenbringt, ist jedoch keineswegs mit der minimalen Ästhetik bestimmter westeuropäischer oder amerikanischer Komponisten zu ver-gleichen, denn sie ist ein spezifisch osteuropäisches Phänomen (das er in gewissem Maße mit dem estnischen Komponisten Arvo Pärt teilt) und das Górecki in erstaunlicher Weise verfeinert hat. Górecki, der in seiner Heimat schon seit langem als ein Komponist von außergewöhnlicher Individualität gilt, findet nunmehr auch im Westen in zunehmendem Maße als eine musikalische Persönlichkeit von bedeutendem Format Anerkennung, deren Werke an keine kulturellen oder politischen Grenzen gebunden sind.

© Adrian Thomas, 1990

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