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Eine Einführung in die Musik Delius’
von Robert Cowan

Wollte man ein Werk nennen, das die kompositorische Meisterschaft und gleichzeitig die Bandbreite der Kunst von Frederik Delius eindrucksvoll repräsentierte, fiele die Wahl auf Sea Drift (Rhapsodie für Bariton, Chor und Orchester). Liebe, Verlust und Sehnsucht sind die Themen der Textvorlage aus der Feder Walt Whitmans. Gleich dem Vogel, der auf seine Gefährtin wartet, wird dem Hörer der Musik die Textsituation vergegenwärtigt, als sei sie ein wesentlicher Teil der eigenen Biographie. Delius schöpft aus einer Quelle universalen Empfindens und fesselt mit einer Musik, die gehaltvoll und zugleich unendlich ergreifend ist. Wie nach der Aufführung anderer großer Meisterwerke bleibt der Hörer geläutert und demütig zurück. Man erkennt, daß man hier mit höchsten Ansprüchen messen darf.

Ebenso wie Delius dazu in der Lage ist, tiefen Empfindungen Klang zu geben, versteht er es auch, zarten Impressionen einen adäquaten Ton zu verleihen. Ihn nur uferlos schwärmend und Klangfarben grenzenlos plakatierend zu sehen, hieße, über Jahre gewachsenen Vorurteilen zuzustimmen. Einer Fehleinschätzung unterläge damit ein Oeuvre, das nicht nur in seiner Form sondern auch in seinem musikalischen Gehalt breiter gefächert ist, als man es bei flüchtigem Hinhören wahrzunehmen vermag. Denkt man an die Eröffnung der zweiten Hälfte seines meisterhaften pantheistischen Chorwerks Eine Messe des Lebens, so begegnet man einer Musiksprache, die dem Schweifen des Blickes über einen bergigen Horizont nachspürt. Im Kontrast dazu steht der darauf folgende Chor "Herauf, nun herauf, du großer Mittag!", in dem die Kraft des vorangegangenen großartigen Erlebnisses wie entfesselt freigesetzt wird. Der wie viele seiner Zeitgenossen von Nietzsche, dem Dichter seiner Textvorlage, begeisterte Delius findet musikalischen Ausdruck für den im Werk thematisierten, von tapferer Selbstüberwindung berauschten Geist. Tondichtungen wie A Song before Sunrise, Summer night on the river oder On hearing the first cuckoo in Spring mögen uns dagegen durch ihren wohlig umhüllenden Klang zum Träumen bringen, einzelne Episoden der Oper A Village Romeo and Juliet aber sind geprägt von Wagnerscher Triebkraft.

Den inspirierten Miniaturisten mag man allenfalls anhand seiner Fähigkeit erkennen, ebenso wie sein Idol Grieg durch genaue Beobachtung der Natur Stimmungen exakt in Musik umzusetzen. In seiner Ausbildung am Leipziger Konservatorium wurde ihm jedoch auch die Kunstfertigkeit vermittelt, große Dimensionen in üppiger Farbenpracht zu gestalten. Zu den denkwürdigsten Passagen seines gesamten Schaffens gehört Brigg Fair, ebenso wie Appalachia, eine meisterhafte Variationsfolge nach einem Volkslied aus der englischen Grafschaft Lincolnshire, das er bei Percy Grainger kennengelernt hatte. Einbildungskraft verbindet sich hier mit formalem Geschick zur Gestaltung einer so schwebenden Szenerie als hätte die Zeit für einen Moment ihre bestimmende Kraft verloren. Seine späten Kompositionen diktierte Delius hauptsächlich seinem Sekretär Eric Fenby. Eine der schönsten davon ist A Song of Summer (1931 uraufgeführt, während der blinde Komponist am Radio zuhörte). Gekrönt wird das instrumentale Schaffen Delius’ von drei beeindruckenden Violinsonaten. Sein musikalisches Lebenswerk jedoch wird dominiert von den Werken, die Delius für die menschliche Stimme schrieb, nicht zuletzt von den Opern, die dem Komponisten so sehr am Herzen lagen und deren vollständige kritische Anerkennung nach wie vor aussteht.

Robert Cowan, 1998
in freier übersetzung von Reinhold Dusella
(Robert Cowan ist als Musikjournalist für die britische Rundfunkgesellschaft BBC und die Musikzeitschrift Gramophone tätig.)

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