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Erinnerung an Boris Blacher
von Harald Kunz

Er schrieb zwölf Opern, zehn Ballettmusiken, fünfzig Orchesterstücke, Oratorien und Konzerte, ungezählte Vokal- und Kammermusikwerke und ein gutes Dutzend elektronische Kompositionen. Er wurde ausgepfiffen und bejubelt, angegriffen und verehrt. Er arbeitete bis zum letzten Tag und sprach seit seinem 70. Geburtstag von sich im Imperfekt: „Ich war einmal ein moderner Komponist.“ Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sich und die Welt mit Ironie zu betrachten. Die Versuchung liegt nahe, Boris Blacher als den modernen „Klassiker der leichten Hand“ zu sehen, weil die breite Öffentlichkeit seine nur scheinbar leichtgewichtigen, durch Bravour und Esprit im besten Sinne unterhaltsamen Instrumentalwerke kennt, die seinen Weltruhm begründeten. Dabei hat er mit dem Großinquisitor und dem Requiem, mit Rosamunde Floris und Romeo und Julia, mit den Drei Psalmen und der Orchesterfantasie Werke geschrieben, deren Ernst jeden Hörer anzurühren vermag. Solche Arbeiten lagen ihm besonders am Herzen, und sie waren ihm wesentlicher und wichtiger als die Kompositionen, mit denen man gemeinhin seinen Namen verbindet.

Befragt nach den Chancen eines neuen Stückes pflegte Blacher zu sagen: „Abwarten! Erfolg kann man nicht kalkulieren.“ Oder: „Die Zeit ist ein unbarmherziges Meßgerät, das nicht viel überdauern läßt. Ich habe zum Glück zwei Edelschnulzen geschrieben, die Paganini-Variationen und die Concertante Musik, davon könnte ich eine Weile leben.“ Oder: „Gäbe es Rezepte für Erfolg, würden wir nur noch ,Erfolgsstücke' hören.“ – Der Gedanke schien ihm unbehaglich.

„Ich rechne mich zu den Komponisten, die nicht nur einen Weg gehen, sondern je nachdem, wie es Vergnügen macht, bald auf diese und bald auf jene Art komponieren – leicht oder schwer, unterhaltend oder experimentell.“

Vergnügen hatte Blacher besonders am Experimentieren. Das begann schon in den zwanziger Jahren mit der dadaistischen Oper Habemeajaja. Das gipfelte in der auf Werner Egks sinnlose, aber Emotionen aktivierende Retorten-Worte komponierten Abstrakten Oper Nr. 1, die zunächst Skandale provozierte, aber dann doch ihren Weg machte. Das endete mit dem Duodram Ariadne, in dem zwei Sprecher einen Text der Goethe-Zeit zu Elektronik in Dritteltönen rezitieren.

Vergnügen hatte Blacher am Jazz. Jazzige Synkopen in der Concertanten Musik hatten ihn schon bei der nationalsozialistischen Presse unbeliebt gemacht, und auch in späteren Stücken erinnern Bläser-Akkorde immer wieder an Blachers Faible für den Glenn-Miller-Sound der vierziger Jahre. Zwischendurch schrieb er für Jazz-Ensembles wie das Modern Jazz Quartet oder die German All Stars. Blues, Espagnola und Rumba für die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker zeigt, wie Blacher Jazz-Elemente mit klassischer Tradition verbindet.

Biographische Reminiszenzen klingen in den Werken an, in denen er russische oder jüdische Motive aufgreift: die Opern Fürstin Tarakanowa und Zweihunderttausend Taler, das Parergon zu Eugen Onegin und das insgeheim Tschaikowsky huldigende Poème für Orchester, schließlich das ganz frühe Streichtrio über jüdische Volkslieder. Die Thematik seiner Herkunft hat den Komponisten lebenslang begleitet.

Die Kreativität des Musikers wurde durch die Rationalität des Mathematikers Blacher gelenkt und kontrolliert. Nach deren Gesetzen konstruierte er seine Kompositionen, entwarf er das rhythmische Serienprinzip seiner Variablen Metren. Doch auch in den logischsten Partituren finden sich Abweichungen von der Norm, Lücken im Regelwerk; von solchen „Fehlern“ meinte Blacher, sie machten die Kunst erst menschlich.

Intelligenz und Phantasie, Charme und Humor, Nonchalance und Understatement prägten seine Persönlichkeit. Mit so sympathischen Wesenszügen ausgestattet, bleibt auch die Musik Boris Blachers zeitlos und gegenwärtig.

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