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Eine Einführung in die Musik York Höllers von Helmut Rohm

Ohne sich an den Aufgeregtheiten der Stildebatten und an den oft mit aller Vehemenz ausgetragenen Profilierungsgefechten, von denen gerade die jüngste Musikgeschichte geprägt ist, über Gebühr zu beteiligen, ging der Komponist York Höller einen ganz eigenen Weg: konsequent, aber nicht dogmatisch. Und so, wie für sein musikalisches Schaffen die Kategorie der "Schlüssigkeit" auf allen Ebenen der Betrachtung von zentraler Wichtigkelt ist, so scheint sie es auch zu sein bezogen auf die Vita des Künstlers. Höller ist vielleicht derjenige unter den europäischen Komponisten seiner Generation, dem eine Homogenisierung unterschiedlichster stilistischer und geistiger Konzeptionen am überzeugendsten gelungen ist und gelingt. Sie gelingt ihm freilich nicht auf eklektizistische Weise, sondern verantwortet heraus aus jener halb intuitiven, halb rationalen Kraft der Zusammenschau, die allein Neues, Eigenständiges hervorbringt, Unverwechselbares.

In den sechziger Jahren studierte Höller an der Kölner Musikhochschule Komposition bei Bernd Alois Zimmermann und Herbert Eimert, sowie Klavier bei Alfons Kontarsky. Wichtige und prägende Impulse gingen in jener Zelt auch von den Studien bei Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen aus. Doch es dauerte nicht lange, bis Höller die vielfältigen Aporien eines konsequenten Serialismus schlüssig aufzuzeigen begann – aus musiktheoretischer, wie auch aus philosophisch-ästhetischer Perspektive. Ende der sechziger Jahre Solokorrepetitor an der Oper zu Bonn, begann sich der Komponist Höller mit informationstheoretischen Fragen und mit stochastischen Prozessen auseinanderzusetzen; auf die mehrjährige Arbeit am Elektronischen Studio des WDR in Köln folgten 1973/74 erste live-elektronische Arbeiten. Seit seinem Aufenthalt in der "Cité International des Arts" in Paris 1974/75 entfaltete Höller auch in Frankreich eine über die Jahre intensiver werdende künstlerische Tätigkeit.

Ende der siebziger Jahre hat Höller begonnen, seine bis heute ständig verfeinerte Konzeption der "Gestaltkomposition" zu entwickeln. Die Offenheit im internationalen Diskurs, sowie sein ausgeprägtes Vermögen, ohne ideologische Scheuklappen den Aspekten und Bedingungen künstlerischer Erfahrung in historischen und anthropologisch-psychologischen Zusammenhängen auf den Grund zu gehen, wirkten dabei katalytisch. So beschäftigte er sich auf der Suche nach archetypischen Momenten intensiv mit den Prägungen des gregorianischen Chorals, mit den zentralen Aspekten der abendländischen Musikgeschichte, mit Klängen und Rhythmen außereuropäischer Kulturen. Er perfektionierte sein Verfahren, ein Werk oder sogar einen ganzen Zyklus von Stücken organisch aus dem "genetischen Code" einer quasi zellularen "Klanggestalt" zu entfalten.

Diese Klanggestalt ist in jedem Falle mehr als eine bloß materialhafte Ton- bzw. Intervallreihe, so, wie sie etwa orthodox dodekaphonischem Denken als Grundlage diente; sie muß vielmehr bereits ein Geheimnis bergen, eine teleologische Ausrichtung, den Hauch des Lebens wie ein Samenkorn. Die inneren Bezüge dieser musikalischen Zelle werden dann wesentlich für alle Dimensionen der musikalischen Form: Melos, Harmonik, Zeitgestaltung. Höllers Vorgehensweise ist dabei immer offen für den spontanen Eingriff, für die Phantasie des schöpferischen Impulses.

Wie kaum ein anderer Komponist hat sich York Höller damit befaßt, die Dimensionen elektronischer Klanglichkeit mit traditioneller Instrumental- und Vokalmusik zu verschmelzen. Für seine exorbitante Klangsensibilität, die hin und wieder von mythischen und traumhaften Vorstellungen inspiriert ist, tun sich in diesem bipolaren Spannungsfeld immer wieder neue Welten auf. Er erforscht sie und lädt uns Hörer schließlich ein, mit ihm zu reisen.

1989 wurde an der Opéra de Paris York Höllers zweiaktige Oper Der Meister und Margarita mit beispielhaftem und nachhaltigem Erfolg uraufgeführt. Höller selbst schrieb das Libretto auf der Grundlage des gleichnamigen Romans von Michail Bulgakow: es war das tragische Schicksal eines politisch verfolgten Künstlers, dargestellt in theatralischer Farbigkeit und surrealer Vielschichtigkeit, die ihn an der Vorlage faszinierte. Das Reflektionsvermögen Höllers, die Fähigkeit, in der Auseinandersetzung mit den eigenen Konzepten stets individuelle Lösungen zu finden, sie in eine quasi "sprechende" und für den Hörer nachvollziehbare Form zu bringen, kennzeichnen insbesondere sein Schaffen nach Der Meister und Margarita. Es ist von großen und spektakulär aufgeführten Werken wie Fanal für Trompete und Orchester, Pensées für Klavier, Orchester und Live-Elektronik, Aura, Margaritas Traum, Widerspiel für 2 Klaviere und Orchester geprägt.

Anläßlich der letzten Sitzung in Bonn erteilte der Deutsche Bundestag Höller den Auftrag, eine Abschiedsmusik zu komponieren. Mit Aufbruch gelang ihm auch in dieser Repräsentationsmusik auf symptomatische Weise eine Lösung, die seinem Anspruch an prozeßhafte Entfaltung einer individuellen "Keimzelle" gerecht wurde.

Höller gewinnt Hörer, ohne die essentiellen Errungenschaften der Neuen Musik zur Disposition zu stellen. Weniger wichtig als in früheren Schaffensphasen ist jedoch heute für ihn die Frage des "Materials"; im Vordergrund steht vielmehr die Gestaltung geistig-psychischer "Energiefelder" ("morphogenetischer Felder") in dem Sinne, wie er es einmal am Beispiel seines Orchesterwerkes Aura verdeutlicht hat: "Ich habe mich des mythischen Bildes von Aura bedient, weil ich in ihm den Archetyp einer dualistischen Konstellation erblicke, in der sich die Ausdrucksbereiche des Auratisch-Zarten und des Dionysisch-Kraftvollen gegenüberstehen, die bei ihrer Vereinigung extreme, bis an den Wahnsinn grenzende Spannungen hervorrufen können, die erst im Tod aufgelöst werden."

Solch energetische Spannungen bestimmen auch die jüngsten Werke Höllers, vom Solostück Scan für Flöte über die Ensemblekompositionen Klangzeichen, Fluchtpunkte oder Feuerwerk bis hin zu dem großen Orchestertableau Sphären, für den Höller mit dem Grawemeyer Award for Music Composition 2010 ausgezeichnet wurde.

Die im obigen Zitat umschriebenen Vorstellungen sind bei Höller aufs engste verknüpft mit einem Formdenken, das er einmal folgendermaßen charakterisiert hat: "Das Nicht-Identische ist ein Signum (nicht nur) der Kunst unseres Jahrhunderts, aber es kann ja nur nicht-identisch sein in Bezug auf etwas anderes. Was ist dieses andere? Es ist in der Kunst immer und immer die Form. Ohne Form gibt es weder Identität noch Nicht-Identität, sondern nur noch Austauschbarkeit und Entropie. Beidem versuche ich mich nach Kräften zu widersetzen."

Zusammendenken, Homogenisieren von Gegensätzen, ein Sich-Einlassen auf die Realität pluralistischer Erscheinungen, das Aufheben diverser Momente auf einer höheren Stufe: York Höller ist hierin Meister.

Helmut Rohm ist Redakteur für Neue Musik der Musikabteilung des Bayerischen Rundfunks, München.

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