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Publisher

B&B

Territory
This work is available from Boosey & Hawkes in der ganzen Welt.

Availability

Uraufführung
01/03/2014
Laurenskerk, Rotterdam
Doelen Kwartet
Composer's Notes

Das Beginnen einer Komposition ist für mich immer wie das Aufbrechen zu einer langen Wanderung in unbekanntes Gelände, bei der ich nur eine vage Ahnung habe von der grundsätzlichen ‚Gegend‘.
Ganz am Anfang dieses Stückes stand die Begegnung mit Hans Woudenberg, dem Cellisten des Doelen Quartet. Bereits bei unserem ersten Treffen gab es eine merkwürdige Koinzidenz. Hans hatte ein Buch dabei über Kirchenfenster und Glasmalerei, das er mir zeigen wollte. Das begeisterte mich, denn ich bin seit frühester Jungend von Kirchenfenstern fasziniert.
Schnell waren wir uns einig, dass das Stück irgendwie darauf Bezug nehmen sollte. Wir phantasierten über mögliche Ähnlichkeiten zwischen Streichen mit dem Bogen auf den Saiten und dem Einfall von Licht auf Kirchenfenster.

Etwa zur gleichen Zeit hörte ich in der Berliner Philharmonie Bachs „Matthäuspasstion" in der Inszenierung von Peter Sellers und mit Sir Simon Rattle als Dirigent. Ein extremer Eindruck: die Arie der Maria Magdalena: ‚Aus Liebe’ mit dem grandiosen Vorspiel der drei Holzbläser.Im Moment des Hörens wusste ich, dass diese Arie ‚Aus Liebe’ irgendwie einfließen würde in meine Arbeit. Sogleich fing ich an, Vorspiel und Arie zu analysieren und bearbeiten, erstellte Krebse, Spiegelungen etc., augmentierte, diminuierte, transponierte. Aber ... das brachte mich zunächst überhaupt nicht weiter. Das war es noch nicht.

Zwischendurch schob sich jedoch immer wieder ein ganz anderer Umstand mit hinein in meine Gedanken, nämlich der, für ein holländisches Quartett zu schreiben. Mein Vater und seine ganze Familie kommen aus Holland und daher habe ich nicht nur einen holländischen Namen, sondern auch einen holländischen Pass. Immer wieder kamen in dieser, aber auch Erzählungen meines Vaters aus seiner Kindheit und Jugend in mir hoch, zunächst in Deutschland aufgewachsen und 1939 nach Holland geflohen.
Und plötzlich bekam der Arbeitstitel ‚aus Liebe’ einen ganz anderen Unterton: Ich merkte, dass ich das Stück auch für meinen Vater schreiben würde und wollte, der doch schon seit einigen Jahren tot ist. Über den ich so gern noch viel mehr gewusst hätte. ‚Aus Liebe’ hatte plötzlich auch diesen Unterton für mich, die Liebe zu meinen holländischen Wurzeln, die Liebe zu meinem holländischen Vater.
Dann sah ich im Fernsehen zufällig eine Reportage über den holländischen Hungerwinter. Ich recherchierte diesen Begriff ... es muss der Winter gewesen sein, von dem mein Vater zwischendurch immer mal wieder Geschichten erzählt hatte, die mir als Kind abenteuerlich vorkamen, z. B. die, wie er zusammen mit seinem Bruder nachts in der Erde nach Tulpenzwiebeln gegraben, oder nach Holz oder nach irgendetwas Brauchbaren gesucht hatte. Und plötzlich sah ich diese Geschichten in einem ganz anderen Licht.
Ich war schockiert von dem, was ich plötzlich zu sehen meinte: eine brutale Erwachsenengeschichte, in der es um Leben und Tod ging. Plötzlich verdunkelte sich das Stück und ich wusste, auch das würde irgendwie zu diesem Projekt dazu gehören müssen.
Ich entschied: Diese wunderschöne Arie ‚Aus Liebe’ würde mich zwar noch weiter begleiten, aber nicht mehr in ihrer realen musikalischen Gestalt; nur noch ein paar wenige Anklänge in der Form ihres Krebs sollten übrig bleiben, als Erinnerung eines überaus starken Ein-Drucks, der aus mir heraus in verwandelter Form zurückgeworfen würde in den Raum der Musik. Und ein paar Zahlen daraus würden übrig bleiben: die 7 zum Beispiel. Es gibt darum in meinem Stück 7 kleine Soli für Bratsche, überschrieben mit ‚Das Weinen der M.M’.

Und auch der Text ‚Aus Liebe’ würde auf versteckte Weise Eingang finden in meine Arbeit: Übertragen ins Morsealphabet, als quasi strukturelles Element, das in einer bestimmten Passage den Rhythmus bestimmt.

Was noch? Das ‚Verdunkeln’, d.h. die Entscheidung, die tiefe C-Saite des Cellos um eine Oktave nach unten zu stimmen. Aber auch: Die Bogenführung hier in den Mittelpunkt zu stellen, in Anlehnung an das erste Gespräch mit Hans...

So ist das Stück allmählich in seiner jetzigen Form entstanden. Aus einem Ansammeln von Erlebnissen und Gegebenheiten, von Koinzidenzen und Widerfahrnissen.

Iris ter Schiphorst

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