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Music Text

Nelly Sachs (dt.)

Scoring

3(I=afl,III=picc).2(II=corA).2(II=bcl).2(II=dbn)-4.2.3.1-timp.perc(4):5tom-t/xyl/3tam-t/2tgl/SD/BD/ratchet/tamb/5gong/5cym/guiro/2claves/cel/vib/2maracas/5wdbl/glsp/5tpl.bl-2harp-strings

Abbreviations (PDF)

Publisher

B&B

Territory
This work is available from Boosey & Hawkes in der ganzen Welt.

Availability

Uraufführung
17/09/1987
Philharmonie, Berlin
Dietrich Fischer-Dieskau, baritone / Berliner Philharmonisches Orchester / Hans Zender
Programme Note

Dass Isang Yun, der koreanische Komponist aus Berlin, ein systematischer Arbeiter war, widerspiegeln auch seine Orchesterwerke. In einer Reihe von »Klangfarbenkompositionen« – vom Orchesterstück Bara (1960) bis zur Ouvertüre für großes Orchester (1973; rev. 1974) verschmilzt er die in Westeuropa aus dem seriellen Komponieren hervorgegangene Organisation von Klangflächen mit der uralten Tradition der chinesisch-koreanischen Hofmusik. Für diese ist der lineare Verlauf wesentlich, der lang gezogene, zum »Pinselstrich« erweiterte Ton oder eben die farbige Klangfläche, bei der das Ornamentale zur Substanz gehört. Mit dem (formal einsätzigen) Konzert für Violoncello und Orchester (1975/76) eröffnete Yun dann eine Reihe von Instrumentalkonzerten. Als Höhepunkt im Prozess der Aneignung dieser Gattung entstand das (nun auch äußerlich dreisätzige) Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 (1981). Konsequent schrieb Yun anschließend fünf große, zyklisch aufeinander bezogene Symphonien (1982/83–1987). In diesen variierte er die Orchesterbesetzung, den formalen Bau sowie die Gehalte. In der viersätzigen Symphonie I (1982/83) geht es um Mahnung und Appell, in der dreisätzigen Symphonie II (1984) um Eindrücke, um eine Antwort auf die Frage, wie dem Komponisten diese Welt erscheint. Die einsätzige Symphonie III (1985) folgt dem Grundgedanken, dass das Harte durch das Weiche zu zähmen sei. Die zweisätzige Symphonie IV (1986) trägt den Untertitel »Im Dunkeln singen« und ist auf die Ausbeutung asiatischer Frauen, insbesondere koreanischer Frauen während des Pazifischen Kriegs in Japan, bezogen.

In der Symphonie V verwendet Yun Gedichte der Nelly Sachs (1891–1970), um noch eindeutiger zu sagen, worum es ihm zu tun ist. Frieden ist das Thema und dieser ist ohne Bewältigung der Vergangenheit, ohne Trauerarbeit nicht zu verwirklichen. Bereits mehrfach hatte Yun Texte der Nelly Sachs vertont, erstmals in der Solo-Kantate Teile Dich Nacht für Sopran und Kammerensemble (1980). In der Chor-Kantate mit Solo-Violine und Schlagzeug O Licht ... sind dem buddhistischen Gebet, das den Titel abgab, Gedichte aus den Nelly Sachs-Zyklen »Fahrt ins Staublose« und »Noch feiert der Tod das Leben« gegenübergestellt. In Der Herr ist mein Hirte für Chor und Posaune solo (1981) ist Nelly Sachs’ »Chor der Tröster« aus dem Zyklus »An den Wohnungen des Todes« mit den 23. Psalm kombiniert. Yuns Symphonie V entstand »Nelly Sachs zum Gedenken« im Auftrag der 37. Berliner Festwochen, die u. a. das Schicksal deutscher Künstler thematisierten, die während der NS-Diktatur ins Exil gezwungen wurden. Symphonie V erklang erstmals am 17. September 1987, dem 70. Geburtstag des Komponisten.

Der Text der Symphonie, aus insgesamt elf Gedichten aus verschiedenen Schaffensphasen der Sachs zusammengestellt, bringt mit die klarsten Verse der sonst oft esoterisch verrätselten Lyrik der deutsch-jüdischen Dichterin, die 1940 von Berlin aus ins schwedische Exil getrieben wurde. Die fünfsätzige Anlage ist symmetrisch gruppiert um den zentralen III. Satz, dem Aufruf zur Versöhnung mit dem Text: »VöIker der Erde [...] zerschneidet nicht mit den Messern des Hasses den Laut, der mit dem Atem zugleich geboren wurde«. Den symphonischen Bau der ungeraden Sätze I (Erinnerung), III (Aufruf) und V (Frieden), in denen die Texte wie Felsen aus der Brandung ragen, erweitert Yun um die kantatenartigen geradzahligen Sätze II und IV. Für diese sind Teile der umfangreichen Gedichte Wir Geretteten und Ihr Zuschauenden aus dem Holokaust-Zyklus »In den Wohnungen des Todes« (1944/45 entstanden, erstmals 1947 im Ost-Berliner Aufbau-Verlag publiziert) jeweils so gegeneinander montiert, dass sie kontrastierend einander ergänzen. Das große Orchester ist mit einer für Yun ungewöhnlich reichen Anzahl von Perkussionsinstrumenten sowie mit zwei Harfen besetzt. In der gedruckten Partitur wurde der III. Satz später dann in »Sehnsucht, Durst« umbenannt.

Forte beginnt der erste Satz im 6/4-Takt mit einem Schlag auf der großen Trommel und dem Akkord G c e f b in den vier Hörnern und der Tuba: ein Quartenakkord mit eingefügtem E, als C E F G B ungefähr symmetrisch um F gebildet. Der Akkord enthält Halb- und Ganzton, große und kleine Terz sowie den Tritonus; seine Umkehrungen machen prinzipiell alle Intervalle verfügbar. Mit Tam-Tam, Gongs, kleiner Trommel und Tom-Tom als Nachhall verteilt Yun den Initialklang und eine Umkehrung auf die Hörner und die Tuba einerseits und auf zwei Trompeten, drei Posaunen und die tiefen Streicher anderseits. Die Bassführung changiert im ersten Takt zwischen G, F und G; in der Oberstimme klingt die Sext bg1b. Rhythmisch geringfügig variiert kehrt dieser Verlauf im zweiten Takt wieder; der dritte Takt bringt einen Akkordwechsel. Indem Yun nur jeweils einen Akkord auf engem Raum echoartig in den zwei Blechbläsergruppen mit den tiefen Streichern wiederholt, entsteht der Eindruck eines Sich-Wiegens oder Hin- und Herschwankens. Dieser herrscht in den ersten acht Takten vor: Die Massivität des Blechs mit den Konnotationen von Appell und Erinnern wird durch geschmeidige Rhythmik – so der Text von Nelly Sachs – zum »Erinnerungsboot«.

Eine lichtere Welt formulieren die hohen Streicher sowie Holzbläser, Harfen und Vibraphon (4/4-Takt). Die Blechbläser entfalten Gegenkräfte; das Ganze wird variiert wiederholt. Die »Umwege«, die »zu gehen« sind, übersetzt Yun demnach in Kontraste. Zu Beginn des letzten Drittels (5/4-Takt) erscheinen Tuttischläge der Streicher und Holzbläser sowie schneidende Einwürfe des Blechs: Die »Herzschritte« werden hier auskomponiert. Sie bilden den Auftakt zum Solo des Baritons. Danach wird der Konflikt (zwischen Streichern / Holzbläsern und Blech) in einer groß angelegten Steigerung noch verschärft. Der Anfang wird in den letzten acht Takten (6/4-Takt) reprisenartig wiederaufgenommen mit dem Eingangsakkord der Blechbläser. Dieser ist in den Schlusstakten um sein dissonierendes Zentrum F verkürzt; in der Tiefe verklingt der Dominantseptakkord C E G B. Geschickt verdeckt die Instrumentierung den »Grundton« C: In dem Gerüst E (tiefe Streicher) – e1 (1 . Trompete) hallt der verminderte Dreiklang e g b im Tremolo der Klarinetten nach.

Der langsame zweite Satz (6/4-Takt) hebt an mit Impulsen der Tam-Tams, Gongs, Kontrabässe und Harfen. Für die Singstimme gelten die seit Schönberg gebräuchlichen Abstufungen: gesprochen (mit und ohne fixierte Tonhöhen), halb gesungen und gesungen. Der Instrumentalpart ist streng an das Wort gebunden: Als heller Farbwert erklingt nach dem Text »Wir Geretteten« der Mischklang von Oboen und Klarinetten, als dunkler Widerpart zugleich aber die Pauke; das Horn bringt den »menschlichen« Klagelaut eines Vierteltonglissandos.

Die Dramaturgie des dritten Satzes (5/4-Takt) führt von dem Appell zur Versöhnung zu einer relativen Zersplitterung. Der Beginn erinnert vage an den ersten Satz; die Blechbläser sind jedoch sordiniert, piano und erscheinen in drei (statt zwei) Gruppen (Posaunen / Tuba, Trompeten, Hörner). Die Streicher reagieren zunächst mit Fluchtbewegungen. Wie es der Text nahelegt, geht es um eine Vereinigung der rivalisierenden Klangwelten. Steigerungsprozesse münden in den wiederum kantatenartig angelegten Aufruf. Jähe Kontraste ermöglichen die in den symphonischen dritten Teil solistisch eingeworfenen Fragen wie »Was ist das Andere / auf das Ihr Steine werft?«. Klage (Blech) wie Anklage (vibrierendes Klangband aus Oboen / Klarinetten, Ratsche, Gurke, Holz- und Tempelblocks) meint der turbulente Schluss.

Klanggesten der Solobratsche und der Harfen, durch Violoncelli und die Altflöte umrahmt, eröffnen den vierten Satz Wir Geretteten – Ihr Zuschauenden (2). Die Taktart (6/4) wechselt mit der Bitte »Laßt uns das Leben leise wieder lernen« zum eher sperrigen 5/4-Takt. Für die Singstimme gibt es zumal in diesem Satz auch zahlreiche Glissando-Vorschriften, differenziert in Glissando mit und ohne Vibrato – die Schönbergschen Gesangstechniken erweitert Yun um seine ostasiatische Idiomatik.

Ausgehend von der Einheit und Ruhe eines großen Unisono auf cis, das schon im dritten Satz angeklungen war, eröffnet Yun den fünften Satz mit einer heterophon sich verzweigenden Streicherfläche. Als musikalischer Doppelpunkt erscheint im Tutti – das Schlagwerk ist hier auf die Pauke reduziert – ein cis-moll-Akkord: Der Solist setzt ein. Wenn dieser das Wort Frieden erstmals singt, wird der Dissonanzgrad intensiviert; die Schwierigkeiten der Durchsetzung des Friedens werden in der Musik reflektiert. In einem zweiten »Doppelpunkt« erklingt Cis unisono, abweichend intonieren Trompeten und Posaunen Fis. Mit der Quinte Fiscis4, Chiffre des Archaischen oder sphärenharmonischer Ferne, endet Yuns Nelly-Sachs-Symphonie.
Walter-Wolfgang Sparrer (1987)

Recommended Recording
cd_cover

Dietrich Fischer-Dieskau, baritone / Berliner Philharmonisches Orchester / Hans Zender
Internationale Isang Yun Gesellschaft IYG 005

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