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Die Musik von Marko Nikodijevic

Marko Nikodijevic wurde 1980 in Subotica, Serbien, geboren und studierte zwischen 1995 und 2003 in Belgrad bei Srdjan Hofman und Zoran Eric´. Nach seiner Ausbildung in der serbischen Hauptstadt führte ihn

ein Studium bei Marco Stroppa an die Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart. Nikodijevic ließ sich in Stuttgart nieder, von wo aus er auch Stipendien mit Aufenthalten in Weimar, Salzwedel und Baden-Baden wahrnahm. Von 2012 bis 2013 hielt er sich als Stipendiat an der Cité internationale des Arts in Paris auf.

Das wesentliche Kernanliegen seiner Musik wurde früh deutlich: die Erkundung fraktaler Strukturen, die ausgedehnte Nutzung digitaler Technologie beim kompositorischen Prozess (und zunehmend auch bei Aufführungen), ein Stilverständnis, das ihn gleichzeitig mit Musik der Vergangenheit verbindet und von ihr distanziert. Das Ensemblewerk music box / selbstportrait mit ligeti und strawinsky (und messiaen ist auch dabei), das Nikodijevic mit knapp 20 Jahren schrieb (vor dem für den Komponisten charakteristischen Überarbeiten von Details und Formanlage), verwendet musikalisches Zitieren und Anspielen als eine Art Trompe-l‘oreille-Effekt, ein Nebenprodukt der Manipulation von Computeralgorithmen. Subjektivität entsteht als Seiteneffekt eines quasiautomatischen Prozesses.

In Nikodijevics folgenden Arbeiten klingen die Parameter Prozess und Subjektivität weiterhin an. Viele seiner Werke beziehen ihr Material zum Teil oder gänzlich aus bereits existierender Musik – für gewöhnlich ein einzelnes Stück eines anderen Komponisten, das mit den Mitteln der Computertechnologie komprimiert bzw. gedehnt wird und im stets ausgeklügelt sinnlichen Klangbett von Nikodijevics Orchestrierung erscheint. Die dabei entstehende Musik unterscheidet sich oft so sehr vom Ausgangswerk, wie Nikodijevics Stücke untereinander. In der Tat erweisen sich die Nutzung des Computers als Kompositionswerkzeug und die Verwendung fremder Musik als eben jene Mittel, mit deren Hilfe Nikodijevic stilistische Gewohnheiten innerhalb seines Schaffens vermeidet. Dessen ungeachtet flirtet seine Musik beständig mit Expressivität, und möglicherweise ist in diesem Zusammenhang bedeutungsvoll, dass er sich besonders häufig bei Werken von Carlo Gesualdo und Claude Vivier bedient, deren Werkrezeption durch ein Übermaß biographischer Aspekte gekennzeichnet ist. So findet die Musik durch implizite Dramatisierung fremder Leben ihre Stimme um jene anderen Stimmen herum. Sie dringen in Nikodijevics eigene Stimme – er spricht durch sie, und sie durch ihn.

Im Spektrum einer bemerkenswerten Äußerungsvielfalt nimmt das beeindruckend kohärente Oeuvre einer musikalischen Persönlichkeit Form an, das sowohl in feinen Details der Orchestrierung als auch in übergreifenden Fragen der Geisteshaltung präsent ist: vor allem wohl die Bereitschaft, hohe technische Raffinesse mit beinahe trotziger Sentimentalität zu mischen. (Die ,Möwenschrei‘-Glissandi, die gegen Ende zahlreicher Stücke in den Streichern zu hören sind, kombinieren diese Raffinesse und diese Sentimentalität und sind bereits eine Art Markenzeichen für Nikodijevics Musik geworden.) Einige Werke arbeiten mit extrem schneller Musik, die weite Teile von music box... charakterisiert und die neueren Stücke den Klangwelten von Techno und Dance Music annähert. Dies trifft etwa auf Teile von chambres de ténèbres/ tombeau de claude vivier, einer ekstatisch dunklen Ensemblefantasie, und noch ausgeprägter für das Orchesterwerk

GHB/tanzaggregat zu, das im Dezember 2011 vom Radio-Sinfonieorchester Stuttgart uraufgeführt wurde. Die hervorgehobene Nutzung von electronica im Kammerwerk grid/index betont den programmatischen Aspekt dieser Begegnung mit der Techno-Ästhetik. Doch selbst reine

Instrumentalwerke evozieren auf kraftvolle Weise eine Club-Atmosphäre, die durch die von digitaler Technik ermöglichten Raumsimulationen als Ausdrucks- wie auch als physischer Raum erfahrbar wird.

In einer kontrastierenden Werkgruppe – Denkmäler oder, wie es in einer ungewöhnlichen Gattungsbezeichnung heißt, ,Tröstung‘ – scheinen kirchenähnliche Räume erkundet zu werden (die Bezeichnungen ,Motette‘ und ,Antiphon‘ mögen diesen Eindruck bestärken). Die Klangwelt dieser Werke zeichnet sich durch intensive Langsamkeit aus. In Zusammenhang mit sadness/untitled und gesualdo abschrift/antiphon super o vos omnes spricht der Komponist gar von ,Klangskulpturen‘. Das Orchesterstück cvetic, kucica…/la lugubre gondola zieht diese stillstehende Resonanz in eine Unterwasser-Echokammer. Subjektivität wird einmal wieder durch Transkription – in diesem Fall von Liszts berühmtem Klavierstück – vermittelt. Das Ergebnis ist ein eindringliches Klagelied, eine ,klingende Trauergondel‘, deren Weg zur letzten Wasser-Ruhestätte von Echos anderer Musik begleitet wird – die Barcarolle, Sibelius‘ Der Schwan von Tuonela, die ganze Geschichte orchestraler Trauergesänge.

Für cvetic, kucica… wurde dem Komponisten nach Auszeichnungen des Komponisten im Rahmen der Gaudeamus Music Week 2003 und 2007, der Gaudeamus Preis 2010 verliehen. Komposition und Uraufführung von grid/index und gesualdo abschrift ... fanden 2011 im Rahmen des Masterstudiengangs der Internationalen Ensemble Modern Akademie statt.

Eine Reihe prominenter Formationen und Künstler haben Nikodijevics Musik aufgeführt: das Ives- und das Nieuw Ensemble, das Ensemble Modern,das EnsembleInsomnio, das Nouvel Ensemble Moderne, die Brandenburger Symphoniker, die Holland Symfonia, das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, das Mahler Chamber Orchestra, das London Philharmonic Orchestra,die Dirigenten Michael Helmrath, Reinbert de Leeuw, Johannes Kalitzke, Jonathan Stockhammer oder Vladimir Jurowski sowie der Pianist John Snijders. Nikodijevics Werke waren sowohl beim musikprotokoll im steirischen herbst, beim Huddersfield Contemporary Music Festival, beim Warschauer Herbst, bei Musica Strasbourg,beim New Yorker MATA Festival als auch bei den World New Music Days in Stuttgart (2006) und dem UnescoRostrumof Composers (2009) zu hören. 2012 fanden Uraufführungen bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik und den Donaueschinger Musiktagen statt, und im Rahmen der Münchener Biennale wurde 2014 in Koproduktion mit dem Staatstheater Braunschweig die Oper VIVIER. Ein Nachtprotokoll (Libretto: Gunther Geltinger) uraufgeführt.

2013 erhielt Marko Nikodijevic einen der drei Komponisten-Förderpreise der Ernst von Siemens Musikstiftung und 2014 wurde er mit dem Deutschen Musikautorenpreis in der Kategorie Nachwuchsförderung ausgezeichnet.

John Fallas, June 2014

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