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Eine Einführung in die Musik Mark-Anthony Turnages
von Anthony Burton

Mark-Anthony Turnage, mit Mitte fünfzig einer der bekanntesten britischen Komponisten seiner Generation, wird weithin geschätzt für seine sehr persönliche Mischung aus Energie und Elegie, aus Rauhem und Feinsinnigem. Seine Produktivität, Ergebnis unbeirrbarer Konzentration auf die vor ihm liegende Arbeit, ist beeindruckend. Die einsamen Stunden am Schreibtisch jedoch werden unterbrochen von fruchtbarem Austausch mit den Musikern, die seine Werke interpretieren. Seine über die Jahre entwickelten Methoden hängen ganz wesentlich von gelungener Kooperation ab: von der Zusammenarbeit mit Solisten beim Schreiben neuer Werke, die sowohl Schaustücke als auch Herausforderungen sind; von kreativen Partnerschaften mit improvisierenden Jazzmusikern; von engen Verbindungen zu Orchestern und Opernensembles, manchmal verbunden mit längeren Aufenthalten, die ihm erlauben, seine Partituren unter Werkstattbedingungen auszuprobieren, bevor er sie – häufig mit radikalen Änderungen – in ihre endgültige Form bringt.

Eine solche Flexibilität zeichnet wohl kaum einen doktrinären Modernisten aus, bei dem noch das kleinste Detail vom musikalischen Material und den kompositorischen Prozessen bestimmt wird. Gleichwohl ist Turnage dank seines Studiums bei Oliver Knussen, John Lambert und Gunther Schuller ganz und gar vertraut mit der Tradition der Moderne, auch wenn diese durch den Einfluss seiner eher pragmatischen englischen Vorläufer Britten und Tippett abgemildert ist. Die musikalische Persönlichkeit, die sich aus diesen unterschiedlichen Faktoren herausgebildet hat, zeichnet eine unverkennbare Mischung aggressiver und lyrischer Qualitäten aus. Das Aggressive entsteht durch scharfe, unregelmäßige perkussive Akzente, die in seinem Schaffen von Greek, seinem Durchbruch als Opernkomponist, bis zu neueren Werken wie dem Klarinettenkonzert Riffs and Refrains präsent sind. Das Lyrische, häufig über einer unruhig wirkenden Begleitung, nimmt die Form anhaltender melodischer Linien an, häufig mit einem frei fließenden Charakter, der an Jazzsolos erinnert.

Wenn Turnage sich unterschiedliche Elemente des Jazz und der populären Musik aneignet, so bedeutet das für ihn, anders als für viele seiner amerikanischen Zeitgenossen, keinen Rückgriff auf die Musik seiner Jugend: Als Kind hörte er im Radio vor allem klassische Musik. Erst im Studentenalter lernte er Jazzfunk und Soul kennen. Dies wiederum führte ihn zur Beschäftigung mit der Musik von Miles Davis; mittlerweile ist er versiert im Schreiben von Jazzkompositionen und -arrangements. Die Welt des Rock und Pop hinterlässt zuweilen unerwartete Spuren in seinen „ernsten" Kompositionen – etwa in seinem Streichquartett Twisted Blues with Twisted Ballad, in dem zwei Led-Zeppelin-Stücke verarbeitet werden. Etwas offensichtlicher erkennbar ist seine Liebe verschiedener populärer Genres in seiner Oper Anna Nicole, in der die tragikomische Handlung in typisch ironischer Weise mit amerikanischem Lokalkolorit und einem „Wohlfühleffekt" versehen wird.

Charakteristisch für Turnage ist jedoch, dass er gleich nach Anna Nicole zwei größere Werke komponierte, in der er sich zwei gänzlich verschiedenen Bereichen musikalischen Ausdrucks zuwandte: das Cellokonzert, in dem er, mit Anklängen an Elgar, englische Traditionen aufgreift, und das ambitionierte Speranza, das voll von Melodien ist, die von unterschiedlichen Volksmusiktraditionen inspiriert sind. Diese Neuorientierungen spiegeln Turnages kritisch hinterfragende, pluralistische Einstellung wider, die auch seine folgende Äußerung in einem Interview zum Ausdruck bringt: „Ich möchte nicht immer dieselbe Art von Musik schreiben. Ich möchte mich vorantreiben." Wo immer ihn seine zukünftigen Erkundungen auch hinführen werden: Die Ergebnisse werden ganz sicher auch weiterhin das Publikum anziehen, fesseln und unterhalten.

Anthony Burton, 2013
(Anthony Burton war früher Produzent und Moderator bei BBC 3 und arbeitet nun als freier Musikschriftsteller.)

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