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Die Musik von John Adams

Die Melodien, die John Adams in dem am Seeufer gelegenen Tanzlokal seines Großvaters in Neu-England vernahm, gehören zu den frühesten Schichten in seinem musikalischen Gedächtnis. Ähnliches gilt für die Marschkapellen, in denen er als Schüler Klarinette spielte. Den Kanon der europäischen Musikgeschichte, den er vor dem häuslichen Fernseher erlernte, nahm Adams ebenso begierig auf wie das bunte, schillernde Musikleben Amerikas, das ihm in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit begegnete. Immer wieder lässt er sich von Duke Ellington inspirieren; seine früh durch die Mitwirkung der Eltern in Jazzbands gewachsene Liebe zum Jazz kehrt zuweilen in unerwarteter Form wieder, etwa der improvisatorischen „Hypermelodie“ in seinem Violinkonzert (1993) oder dem Raga-ähnlichen Nachsinnen der elektrischen Violine in The Dharma at Big Sur (2003). Es war inmitten der folgenschweren Umwälzungen der sechziger Jahre, als Adams sich angesichts der frischen, dionysischen Erfindungskraft des goldenen Rock-Zeitalters der Zwänge und Widersprüche des zeitgenössischen Serialismus und seiner ermüdenden Forderungen bewusst wurde.

Seine eigene Stimme fand Adams schließlich in der locker-experimentellen Atmosphäre der kalifornischen Bay Area, wohin er nach seinem Studium zog. Die minimalistische Ästhetik wies ihm den Weg, wie er das energetische Pulsieren und die tonalen Grundlagen des Jazz und Rock wiederbeleben konnte – eben jene Elemente, die das „Lustprinzip“ beim Hören zu legitimieren schienen. Dabei blickte Adams von Anfang an über die Beschränkungen hinaus, die dem Minimalismus anhafteten, hin zu einer größeren musikalischen Vision, die in dem wegweisenden Streichseptett Shaker Loops offenbar wurde. In den Orchesterwerken für das San Francisco Symphony Orchestra, die ihm den Durchbruch verschafften und in Harmonielehre einen Höhepunkt erreichten, bewies Adams seine außerordentliche Fähigkeit, die erhabenen Stilmittel der Romantik und der großen musikalischen Formen zu neuem Leben zu erwecken. Gleichzeitig entwickelte sich seine frühe Faszination für elektronische Musik weiter, hinein in eine technologisch bereicherte Klangpalette, in der sich Akustisches mit Sythetisiertem verband. Werke wie On the Transmigration of Souls, das ihm den Pulitzerpreis einbrachte, oder die Wüstenmusik, die in seiner Oper Doctor Atomic den Handlungsort im Atombombentestgebiet von New Mexico beschreibt, zeigen am deutlichsten die experimentelle Seite von Adams’ Klangwelt. Aus all den verschiedenen Einflüssen lässt Adams stetig neue, unerwartete Zusammenfügungen entstehen. Seine Laufbahn kann man, mit seinen eigenen Worten, als das Streben betrachten, „aus dem Kompost des amerikanischen Lebens eine neue Sprache zu formen, so wie Walt Whitman“.

Diese Verwurzelung in der Alltagskultur führt zuweilen dazu, dass unterschiedlichste Elemente auf überraschend geistreiche Weise aufeinanderprallen, etwa wenn in der Kammersymphonie der frühe Schönberg mit Zeichentrick-Soundtracks vermengt wird. Hinter dem spitzbübischen Mark-Twain-Humor findet sich hier ein Hang zu tief empfundener Nostalgie und reumütiger Intimität, aus der manchmal die elegische, unsentimentale Zartheit Coplands hervorklingt. Adams gehört zu den am meisten choreographierten zeitgenössischen Komponisten, zum Teil infolge der faszinierenden Kontexte, in die er seine dramatisch treibende, feinnervige Rhythmik stellt. In seinem Werk bricht sich der Pioniergeist von Charles Ives, dessen Bestreben, „die volkstümlichen Wurzeln der Kunst am Leben zu erhalten“ und dabei unbefangen zu experimenteren, Adams als Vorbild diente.

In seinen Arbeiten für die Opernbühne rückt Adams’ ganz eigene, amerikanische Perspektive ins Zentrum des Geschehens. Die dramatische Darstellung des kulturellen Zusammenpralls von Kommunismus und Kapitalismus in Nixon in China gab 1987 dem Genre neue Lebenskraft für eine ganze Generation. Adams’ Bühnenwerke haben nicht nur die Evolution seines eigenen Stils, sondern die Wahrnehmung von Oper und ihren Möglichkeiten in unserer Zeit nachhaltig geprägt. Die Wahl seiner Themen in Zusammenarbeit mit seinem langjährigen künstlerischen Partner Peter Sellars ist, obgleich zuweilen umstritten, in dem mythischen Potenzial zeitgenössischer Ikonen und Ereignisse verwurzelt. Adams verfolgt das Ziel einer amerikanischen Oper mit größeren kulturellen Zusammenhängen, eines Kunstwerks, das die bestimmenden Konflikte unserer Zeit thematisiert, ohne billige Lösungen anzubieten – ob Terrorismus (in The Death of Klinghoffer), die Erfahrungen städtischer Immigranten (im Opern-Oratorium El Niño, das zur Jahrtausendwende entstand) oder der Beginn des Atomzeitalters (Doctor Atomic). Gleichwohl lässt sich Adams immer von alten Meistern inspirieren. In dem von Mozart angehauchten A Flowering Tree etwa bildet ein altes Märchen aus Südindien die schöpferische Quelle für ein weiteres Beispiel wechselseitiger Befruchtung. Adams ist zu einem Komponisten geworden, der das 21. Jahrhundert repräsentiert und immer wieder ideale Gegenstände für seine eigene Kunst der musikalischen Metamorphose findet.

Thomas May, 2008

Thomas May ist Herausgeber von The John Adams Reader und Autor von Decoding Wagner, die beide bei Amadeus Press erschienen sind. Er ist Verfasser zahlreicher Beiträge zu Musik und Theater.

Übersetzung: Andreas Goebel

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