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Music Text

Dirk von Lowtzow (dt.)

Abbreviations (PDF)

Publisher

B&B

Territory
This work is available from Boosey & Hawkes in der ganzen Welt.

Availability

Uraufführung
15/10/2022
Realschule, Große Sporthalle, Donaueschingen
Dirk von Lowtzow, voice / Talea Ensemble
Composer's Notes

Ich bin eine re-aktive Komponistin, das heißt ich re-agiere auf das, was mich unmittelbar beschäftigt, mich umgibt oder mir widerfährt.
Meine Kompositionen stellen daher zum Teil intertextuelle Bezüge zu anderen Arbeiten her, spinnen bereits existierende Klangwelten weiter oder kommentieren sie und führen virtuelle Dialoge.

Mich interessiert es ganz grundsätzlich, Verbindungen zu knüpfen: zu anderen Zeiten, zu anderen Werken, zu anderen Künstler*innen.
Insofern findet mein Komponieren immer in bestimmten Kontexten statt – der oder das Andere, als DU, als Gegenüber ist immer präsent, sei es in unmittelbarer Performativität, sei es als Resonanzraum. Diese Form der Intertextualität kann man in gewisser Weise als Gegenkategorie zum Konzept der Autorschaft auffassen.

Auch in HYPER-DUB stehen Verbindungen und Bezüge im Vordergrund. So wäre diese Komposition ohne die überraschende Begegnung mit Dirk von Lowtzow, seinem wunderbaren Text, ohne die bereichernden Gespräche, ohne das Staunen über ähnliche Vorlieben, Philosph*innen oder Künstler*innen nicht entstanden.

Und ohne diese Begegnung wäre mir möglicherweise auch nicht in den Sinn gekommen, mit der Aufnahme eines uralten MS-20 Sounds zu arbeiten, der wie Kitt das ganze Stück zusammenhält, mikrotonal verfärbt, aber auch eine Spur der Geschichtlichkeit einbringt.
Ein kaputter Sound (in der Hauptsache ein etwas zu tiefes großes E, zudem in sich merkwürdig modulierend), Resultat einer spontanen Lust am Experiment des legendären und leider viel zu früh verstorbenen Chrislo Haas (1956–2004, u. a. DAF, Liaisons Dangereuses) mit dem für die späten 70er und 80er Jahre so prägenden Synthesizer MS-20. Diesen hatte Chrislo Haas durch ein defektes Space-Echo des Musikers und Soundexperten Thomas Stern (1957, u. a. Crime and the City solution, Berliner Ring) geschickt, der glücklicherweise dieses Experiment ‚recorded’ und mir Jahrzehnte später zur Weiterverarbeitung überlassen hat.

HYPER-DUB ist dreiteilig: Im ersten Teil schichte ich auf den Sound verschiedene Linien oder auch Melodiefragmente und lasse sie zum Teil magma-artig ineinander verschmelzen. Dadurch entsteht eine eigenartige Klanglichkeit, in der immer wieder Erkennbares aufblitzt, aber gleichzeitig zu verrutschten scheint.
Im zweiten Teil wird der Stimme und dem Text der Raum überlassen, während im dritten Teil das Hybrid-Instrument ‚Drumset’ ins Zentrum rückt und dem Sound und Text eine ganz andere Bedeutung gibt.

Was hat mich an diesem kaputten merkwürdigen Sound so sehr berührt, dass er nun als immer wiederkehrender Sample Eingang gefunden hat in HYPER-DUB?

Vielleicht dass er mich an die Zeit Anfang der 80er Jahre in Berlin erinnert? An die widerständige und experimentelle Stimmung, die mich damals an dieser Stadt so fasziniert hat, dass ich von einem zum anderen Tag beschloss, dort hinzuziehen und mich in die experimentelle Rockmusik-Szene zu stürzen?
Vielleicht, dass ich ihn unwillkürlich mit meinem Lebensgefühl der damaligen Zeit verbunden habe, d.h. mit einer Zeit von gelebtem Widerstand (zur Erinnerung: Anfang der 80er Jahre wurden innerhalb weniger Monate im damaligen West-Berlin nahezu 160 Häuser besetzt und somit jahrelang verkommene und von den Besitzern und der Politik längst dem Verfall anheim gegebene Gebäude allmählich wieder ‚instand-besetzt’, wodurch u. a. Kreuzberg 36 für eine neue Zukunft ‚gerettet’ wurde, das sonst der Politik im Verbund mit Spekulanten zum Opfer gefallen wäre – in der Hoffnung auf lukrative Geschäfte und gewinnbringende Margen angesichts der damals geplanten Autobahn quer durch diesen Kiez).

Oder vor allem, dass er in mir die Frage evozierte (die mich seit einer ganzen Weile bereits umtreibt), was von diesem gelebten Widerstand, dem vermeintlichen Aufbruch seinerzeit (Frauenbewegung, Anti-Atombewegung, Klimabewegung, Hausbesetzungen, Neue Deutsche Welle vor ihrer Kommerzialisierung etc.) in der Folge geblieben ist?
Anders gefragt: Was von den ‚Zukünften’, die damals imaginiert wurden, im Laufe der Zeit verloren ging, bzw. sich im 21. Jahrhundert nicht verwirklicht hat? Und: Wann der Glaube an eine bessere und gerechtere Zukunft von der Erkenntnis verdrängt wurde, dass alles, wirklich alles, jede Bewegung, inklusive Widerstand, von den Auswüchsen des Kapitalismus ‚geschluckt’ werden wird?
Iris ter Schiphorst, 2022

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