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Ein Familienmitglied von mir hatte einst eine Skulptur aus dem Alten Ägypten für wissenschaftliche Forschung in seinem Institut aufbewahrt. Ich habe sie leibhaftig nie gesehen, doch ein inneres Bild brannte sich seit meiner Kindheit ein, nämlich wie jene Skulptur zwischen Papieren und Briefbeschweren auf einem Schreibtisch steht. Ist sie dann nah oder fern, ein kulturelles Objekt, das noch zu uns spricht, oder bereits ein fremdes Ding, das unzugänglich bleibt?

Gegenüber von meiner Münchner Wohnung befindet sich ein Flüchtlingswohnheim. Wenn im Sommer die Fenster offen stehen, ergibt sich im Hof ein Klanggemisch zwischen muslimischen Gebetsgesängen, Noise Music, afrikanischen Songs, Livemitschnitten von den Bayreuther Festspielen und meinen eigenen gelegentlichen Klängen.

Als im Herbst 2014 Parolen wie „Wir sind das Volk“ über Plätze in deutschen Städten gebrüllt wurden, schlug mir nicht nur ihr Inhalt, sondern auch ihre Lautlichkeit entgegen. Ich begann darüber nachzudenken, wie sich das Politische in zeitgenössischer Musik artikulieren könne, wenn sie sich weniger als eine Übersetzung von Inhalten, denn als eine Form des Hörens und Bezeugens gegenwärtiger Ausdrucksformen verstehen würde. Doch was hat das Hören und Bezeugen politischer Realitäten mit einem Klavier zu tun, was mit temperierter Stimmung oder einem atonalem Akkord? Und was haben diese wiederum für ein kommunikatives Potenzial in unserer Gesellschaft mit ihren vielfältigen kulturellen Hintergründen, wie zum Beispiel in meiner Nachbarschaft?

Je mehr ich diesen Fragen nachging, erkannte ich, dass es nicht darum gehen könne, unsere kulturellen Geschichten zu negieren, sondern vielmehr, ihnen neu nachzugehen, um sie auch neu nach ihren Ausdruckmöglichkeiten zu befragen, jenseits der Debatten von Moderne und Postmoderne. So entschied ich mich, das Projekt des komponierten Hörens politischer Realität noch zu verschieben und zunächst in den Sedimenten unserer Musikgeschichte zu graben. Dieses Stück widmet sich ihren Archetypen, bis hin zur Beschaffenheit der Instrumente und ihres Spielens selbst: Polyphonien, Melodien, Responsorien, Dreiklänge, Leersaiten, Eigenzeiten von Spielaktionen, Ausklänge... Diese Archetypen fokussierte ich wie eine Archäologin. Ich breitete sie auf meinem Schreibtisch aus wie ägyptische Skulpturen, um der Frage nachzugehen, ob und wie sie noch zu mir sprechen, damit auch ich mit ihnen sprechen kann.

Die Komposition ist dem Trio Catch gewidmet.

(Isabel Mundry)


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