Neues Musiktheater Welcome to Paradise Lost von Jörn Arnecke in Weimar

Die literarische Vorlage für dieses neue Musiktheater bildet Farid ud-Din Attars „Die Konferenz der Vögel“, eines der bedeutendsten Werke der persischen Literatur. Falk Richter hatte den Stoff aufgegriffen und das Libretto für Arneckes Oper geliefert, die am 3. September 2022 am Deutschen Nationaltheater Weimar in Kooperation mit dem Kunstfest Weimar uraufgeführt wird.
Andreas Wolf leitet das Orchester des Nationaltheaters Weimar und Andrea Moses führt Regie.
Wir haben mit Jörn Arnecke über sein neues Musiktheater gesprochen:
Bei dem Titel „Konferenz der Vögel“, auf dessen Inhalt sich der Dramatiker und Regisseur Falk Richter in seinem Text „Welcome to Paradise Lost“ aus dem Jahr 2018 bezieht, denkt man unweigerlich gleich an Erich Kästners „Konferenz der Tiere“. Damit aber hat Farid ud-Din Attars mystische Vorlage ja nun gar nichts zu tun, nicht wahr?
Jörn Arnecke: Falk Richter, der Librettist dieses Projekts, hat sich tatsächlich auf die Dichtung „Die Konferenz der Vögel“ aus dem 12. Jahrhundert bezogen, die als eines der wichtigsten Werke der persischen Literatur gilt: Die Vögel suchen einen König und durchqueren dafür sieben Täler – bis sie am Ende erkennen, dass sie selbst dieser König sind, also ihr Schicksal selbst bestimmen sollen. Dieser Weg der Erkenntnis wird im Libretto – wie bei Erich Kästner – auf die Menschheit bezogen, die selbst mit ihren Problemen nicht zurechtkommt: Zentrales Thema unseres Stückes ist die Klimakatastrophe – die Vögel wissen mehr als die Menschen, und die sieben Täler sind sieben Stationen, in denen den Menschen der Spiegel vorgehalten wird, etwa „Das Tal des Wachstums“ oder „Das Tal der Überforderung“.
Warum hat Sie dieses Sujet für eine Opernadaption so sehr gereizt?
Ich halte es für dringend notwendig, dass zeitgenössisches Musiktheater die Gegenwart beleuchtet: Aktuelle Musik muss aktuelle Themen aufgreifen. Die Reise der Vögel ist eine Reise des Klangs. Aus meiner Sicht muss als Grundfrage bei jedem Musiktheater geklärt werden: Warum wird überhaupt gesungen? Warum erfordert genau dieser Text eine Vertonung? Mit Falk Richter hatte ich vor fünfzehn Jahren für das Musiktheater-Stück „Unter Eis“ zusammengearbeitet, das bei der RuhrTriennale in Kooperation mit der Oper Frankfurt uraufgeführt wurde. Schon damals haben wir die Spannweite zwischen gesungenem und gesprochenem Text ausgelotet, mit Sängern und Schauspielern. Wir haben uns nach diesem intensiven Prozess eine zweite Zusammenarbeit gewünscht, durch den Auftrag des Kunstfests Weimar unter der Intendanz von Rolf C. Hemke hat sich dies nun ergeben. Und das Deutsche Nationaltheater Weimar bietet ein Ensemble, in dem zu den Sängerinnen und Sängern ein Schauspieler hinzutritt.
Wie hat sich Falk Richter dieser alten literarischen Vorlage genähert, wie hat er sie verdichtet?
Er hat sie auf unsere Zeit bezogen, wie sich gerade an den Tälern zeigt. Es gibt Individuen, die mit ihren Haltungen ringen, und es gibt Jugendliche, die einen anderen Blick auf die Welt haben, energiereich, bereit zur Veränderung. Die Reise wird in der Inszenierung von Andrea Moses und im Bühnenbild von Christian Wiehle direkt aufgegriffen: Auch das Publikum wird im e-Werk Weimar durch verschiedene Räume ziehen und am Ende wieder am Ausgangsort ankommen. Diese Raumidee entstand parallel zur Komposition. Bei diesem Projekt lag also nicht erst das fertige Stück vor und wurde danach mit einem Inszenierungskonzept versehen, sondern wir standen schon bei der Komposition im Austausch, auch mit dem Dirigenten Andreas Wolf und einzelnen Sängerinnen und Sängern, mit denen ich vorab proben durfte.
Die Reise der Vögel ist ja, was auch die faszinierenden Illustrationen eines um 1600 angefertigten Manuskripts zeigen, sehr farbenreich und könnte durchaus zu illustrativen Mitteln in der Musik anregen. Findet sich das in Ihrer Musik, oder gehen Sie einen ganz anderen Weg?
Vögel sind ein eigener musikalischer Kosmos, mit einer eigenen musikalischen Tradition. Ich habe Vogelrufe transkribiert und wörtlich in die Komposition eingebaut, sie bilden wichtige musikalische Grundbestandteile des Stückes, etwa die Singdrossel, die Amsel oder der Pirol. Dies betrifft zunächst vor allem die melodische Ebene der Komposition – aus Tönen der Vogelrufe erwachsen dann aber auch Zusammenklänge; Geräusche sind ein anderes Element der Farbpalette. Die Klangwelt kennt sehr bestimmte, dunkle Ereignisse, aber noch mehr interessieren mich schwebende Klänge, wie sie in besonderer Weise durch das Verrophon erzeugt werden: ein Gläserspiel, das im letzten Teil des Stückes mitwirkt.
Spielen die Musik Persiens und die arabischen Skalen, vielleicht auch die Mikrotonalität, eine Rolle in Ihrem Musiktheater?
Ja, selbstverständlich wollte ich daran bei dieser literarischen Vorlage nicht vorbeigehen. Dies bietet die Möglichkeit, Mikrotonalität melodisch einzuführen und daraus auch Klänge mit besonderer Leuchtkraft zu gewinnen, etwa für den „Simurgh“ – den König, den die Vögel suchen. Es ist zugleich das Bedürfnis, eine neue und so noch nicht gehörte Musik auf den Grundlagen einer gewachsenen musikalischen Erfahrung zu komponieren. Ich bin ja als Professor für Musiktheorie und Gehörbildung an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar tätig. Wir haben hier einen besonderen Schwerpunkt in transkultureller Musik, und die Studierenden fordern ein, unseren gängigen Kanon des musikalischen Repertoires in Frage zu stellen und zu erweitern. Aber auch hierfür ist mir das musikdramaturgische Konzept wichtig: Die Mikrotonalität des Stückes erklärt sich aus dem Sujet; sie soll sich logisch ergeben und nicht aufgesetzt wirken. So sollen die musikalischen Ereignisse verschmelzen zu einem Erlebensraum und zu einer Erweiterung der Sichtweise. Die Klimakatastrophe, das sind wir – und wir müssen auch den Weg herausfinden!
03.09.2022 | Weimar
UA Jörn Arnecke
Welcome to Paradise Lost
Musiktheater nach einem Libretto von Falk Richter
Ltg.: Andreas Wolf
Regie: Andrea Moses
Kunstfest Weimar in Kooperation mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar
> Further information on Performance: Welcome to Paradise Lost