Unsuk Chin im Zentrum des Pariser Festival Présences

Bei dem Musikfestival von Radio France steht die Musik von Unsuk Chin mit gleich 15 Werken im Fokus. Einer der Höhepunkte ist die Uraufführung von Chins neuer Orchesterkomposition Alaraph. Zudem hebt Bertrand Chamayou York Höllers Klaviersonate Nr. 4 im Rahmen des Festivals aus der Taufe.
Mit einer umfassenden Werkschau widmet sich die diesjährige Ausgabe des Festival Présences in Paris dem Schaffen von Unsuk Chin. Zwischen dem 7. und 12. Februar finden insgesamt zehn Konzerte mit Musik der in Südkorea geborenen Komponistin statt. Als besonderer Höhepunkt erlebt das im Auftrag von Radio France entstandene Orchesterwerk Alaraph am 11. Februar seine Uraufführung im Maison de la Radio. Es spielt das Orchestre National de France unter der Leitung von François-Xavier Roth. Weitere Aufführungen von Alaraph sind bereits geplant, so im Rahmen der Reihe „ZaterdagMatinee“ im Amsterdamer Concertgebouw sowie durch das Sinfonieorchester Basel, das San Francisco Symphony und das Taipei National Symphony Orchestra.
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Der Titel Alaraph stammt aus der Kosmologie, während Unsuk Chin mit dem Untertitel Ritus des Herzschlags eine Verbindung zum musikalischen Rhythmus herstellt. Die Komponistin erklärt, dass sie während des Komponierens von zwei Bildern inspiriert wurde:
„Einerseits reizte mich das Konzept der sogenannten ‚Herzschlag-Sterne‘ mit ihrem regelmäßigen Pulsieren. Darauf bezieht sich auch der Titel: ‚Alaraph‘ ist einer der so genannten ‚Herzschlag-Sterne‘. Dabei handelt es sich um sich rhythmisch bewegende, veränderliche Doppelsternsysteme auf exzentrischen Bahnen, deren Schwingungen durch Gezeitenkräfte verursacht werden. Der Begriff ‚Herzschlag-Sterne‘ bezieht sich auf das folgende Phänomen: Wenn die Helligkeit eines Sterns langfristig aufgezeichnet wird, ähnelt seine Lichtkurve einem Herzschlag, wie er in einem Elektrokardiogramm zu sehen ist. Als zweite entscheidende Inspirationsquelle fungieren bestimmte Aspekte der traditionellen koreanischen Musik, die ‚statische‘ höfische Ritualmusik wie die lebendige Volksmusik. Ich habe beide nicht in Form von Zitaten verwendet, sondern spiele komprimiert und stark stilisiert in Gestaltung und Struktur des Werks auf sie an. Die Schlagzeuggruppe spielt dabei eine zentrale Rolle. Im Gegensatz zu meinen anderen Orchesterwerken verzichte ich völlig auf melodisches Schlagwerk wie Vibraphon oder Glockenspiel. Stattdessen schöpfe ich die Eigenschaften der rhythmischen Schlaginstrumente voll aus. Folglich weist das Werk eine beträchtliche Energie und Körperlichkeit auf. Meine Neugier an Wissenschaft und Kosmologie besteht schon seit etwa 40 Jahren. Bereits als Kind begann ich, mich über Träume zu wundern, die für mich Begegnungen mit einer anderen Welt mit ganz anderen physikalische Gesetzen bedeuteten. Träume sind – der Musik nicht unähnlich – Phänomene, die sich mit der Zeit verändern und gleichzeitig wie eine Skulptur in einem winzigen Moment der Zeitlosigkeit eingefroren sind. All dies ließ mich vermuten, dass das, was wir in unserem Alltag wahrnehmen, nur ein Bruchteil der Realität ist. Um diesen Fragen weiter nachzugehen, entwickelte ich einen großen Wissensdurst im Hinblick auf Kosmologie und Physik.“
Neben der Uraufführung von Alaraph umfasst das Festival Présences die französischen Erstaufführungen von drei großen Orchesterwerken Chins: das Violinkonzert Nr. 2 ‚Scherben der Stille‘ mit dem griechischen Geiger Leonidas Kavakos als Solist und dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter Leitung von Kent Nagano, Frontispiece mit dem Orchestre National de Paris unter François-Xavier Roth und Le Silence des Sirènes in der reduzierten Fassung mit Sopranistin Faustine de Monès als Solistin und Anthony Hermus am Pult des Orchestre Philharmonique de Radio France.
Werke weiterer Komponist*innen unserer Zeit komplettieren das Programm des sechstägigen Festivals: So wird der Pianist Bertrand Chamayou in einem Rezital mit mehreren von Chins Kompositionen für Klavier solo auch ein neues Werk von York Höller zur Uraufführung bringen: Nach über zehn Jahren hat sich der 79-jährige Komponist wieder der Klaviersonate gewidmet und stellt in Paris seinen vierten Beitrag zu dieser Gattung vor.
N. B.: Die Premiere von Alaraph in Paris am 11. Februar wurde aufgrund eines frankreichweiten Streiks abgesagt.
> Further information on Work: Alaraph ‘Ritus des Herzschlags’
Foto: Unsuk Chin (© Priska Ketterer)