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Scoring

solo S(high); 3-part female chorus; 2(II=picc).2(II=corA).2.2-4.2.2.1-timp.perc(2):xyl/BD/SD/glsp/3tam-t/5wdbl/maracas/vib/5tom-t/5gongs/large ratchet-harp-strings

Abbreviations (PDF)

Publisher

Boosey & Hawkes / Bote & Bock

Territory
This work is available from Boosey & Hawkes in der ganzen Welt.

Availability

Uraufführung
09/05/1995
Suntory Hall, Tokyo
Tokyo Ladies Singers / Tokyo Philharmonic Orchestra / Tsugio Maeda
Composer's Notes

Die Bezeichnung Engel resultiert nicht aus einem christlichen oder religiösen Weltbild; nicht nur in Asien meint man mit diesem Wort auch wirkliche Menschen, die reine oder selbstlose Gedanken haben und Taten vollbringen, die auf Gesellschaftliches, Moralisches oder eben auch auf Religiöses bezogen sind. Der Zusatz in Flammen bedeutet Verbrennung, konkret Selbstverbrennung. Bei der Komposition dachte ich an eine Szene, die sich in der Realität mehrfach ereignet hat: verbrennen, den Körper mit Benzin übergießen, sich in Flammen aus einem hohen Gebäude herausstürzen. Und ich dachte dabei auch an die Zuschauer, an die Gesellschaft, die dieses schockierende Ereignis mit einer großen Emotion erlebt. [...]

Konkret hatte ich junge Menschen in Süd-Korea vor Augen, vorwiegend Studenten, die im Frühjahr 1991, gegen Ende der Zeit, als Roh Tae Woo Präsident war, immer wieder demonstrierten und deren Proteste gewaltsam und gnadenlos unterdrückt wurden. Viele gehörten politisch radikalen Gruppierungen an. Aber gerade die Studenten, die durch Selbstverbrennung Selbstmord begingen, hatten keine Zugehörigkeit zu politischen Gruppen; sie sahen nur die Aussichtslosigkeit, die Sackgasse im Kampf um Demokratisierung und Wiedervereinigung, den drohenden Zusammenbruch der Gesellschaft und die Ohnmacht des einzelnen. Sie handelten spontan und verbrannten ihre Körper, um der Gesellschaft einen Schock zu versetzen; sie wollten ein Zeichen setzen, um die Gesellschaft zur Besinnung zu bringen. Ein individuelles Schicksal ist wichtig und absolut, und damals gaben mehr als zwanzig junge Menschen ihr Leben; rein und naiv gingen sie öffentlich in den Tod, um eine moralische und gesellschaftliche Erneuerung anzumahnen. [...] Meine Idee war es nun, diesen Taten durch meine Musik ein Denkmal setzen, an einem Beispiel zu zeigen, wie unschuldige Menschen zum Opfer ihrer Gesellschaft werden. [...] Ich verfolge mit dem Werk keine politische Wirkung oder propagandistische Absicht, sondern ich handelte als Komponist, um mein Gewissen zu beruhigen. [...]

Die Verbrennung kann man in der Partitur sehen: Geräuschhaft, dramatisch, fast naturalistisch habe ich das geschildert, den Fall von der Höhe eines Gebäudes, dann den Schock und die Ratlosigkeit der Zuschauenden, die genau sehen, was passiert; diese sprachlose Ohnmacht der Szene ist das, was dann zunächst bleibt. [...]

Der Epilog ist eine vollkommen andere Klangwelt, keine emotionshaltige Musik wie das Orchesterstück, sondern eine ganz neutrale Instanz. Wenn diese Seele in eine andere Welt geht, dann hört sie vielleicht Klänge wie im Epilog, eine kosmische Klangwelt. Diese soll nicht von menschlicher Schönheit reden, soll keinen Begriff oder irgendeine Bedeutung ausprägen, nicht einmal eine religiöse; es soll auch nicht für Menschen wirken, die Sprache ist nicht von Menschen, sondern ein Naturklang oder kosmischer Raumklang. Der Epilog ist auch nicht mit einem Paradies oder dem Himmel, einer Apotheose oder Verklärung in Verbindung zu bringen, sondern es ist jegliche Emotion in diesem Stück vermieden; es gibt keinen Text und keine Melodie. Doch der Solosopran sollte bei der Aufführung tiefer stehen als die etwa zwanzig Frauen des Chors; die Solistin ist vielleicht die Mutter des Opfers, ihrer Partie habe ich halbwegs noch eine menschliche Emotion gegeben. Die Celesta und die vier Soloinstrumente müssen das etwas unterstützen, während der Chor ganz rein und ohne Emotion beteiligt ist – eine neue klangliche Dimension, die im Raum, im Kosmos immer fließt.
(aufgezeichnet von Walter-Wolfgang Sparrer, 05.04.1994)

Programme Note

In der zweiten Hälfte des Jahres 1994 komponierte Isang Yun drei letzte Werke. Den ersten Teil des Orchesterstücks, das im Auftrag des "Asian Music Forum" entstand und dessen Titel Engel in Flammen er erst nach Abschluß der Komposition bekanntgab, beendete Yun Ende August. Anfang September wollte er zur Aufführung seiner Werke erstmals "nach 38 Jahren als freier Mensch" seine Heimat Süd-Korea betreten. Die Einreise scheiterte in letzter Minute – durch unzumutbare Bedingungen der südkoreanischen Regierung, aber auch durch ultralinke Kräfte, die Yun vorwarfen, er würde seine Ideale verraten, wenn er sich in das politisch lange Jahre bekämpfte Land begeben würde. Erneut erkrankt, vollendete Yun die Partitur des Orchesterstücks in Berlin an seinem 77. Geburtstag, dem 17. September 1994. Im Harz entstanden anschließend zwei weitere Kompositionen: das 2. Klarinettenquintett und das Quartett für Oboe und Streichtrio. Dort schrieb er dann Ende Oktober sein definitiv letztes Werk nieder: den Epilog zum Orchesterstück Engel in Flammen – eine Art Requiem, von dem er wußte, das es auch sein eigenes werden würde.

Im ersten Teil des gut sechzehnminütigen Orchesterstücks Engel in Flammen bildet Yun gesellschaftliche Konflikte ab. Den Strudel und Sog kollektiver Ereignisse und Kräfte kodiert er zunächst in einem zwar kontrastierenden und doch – sofern der Dirigent die Dynamik ausbalanciert – nahtlos geschmeidig fließenden Nacheinander: Dunkel timbrierten und dichteren Taktgruppen in tiefer Lage antworten hell timbrierte und dünnstimmigere Taktgruppen in hoher Lage und leiser Dynamik. Während Yun für den Anfang seiner Symphonie I (1982/83) ein Unisono der Hörner auf dem "mahnenden" Ton B wählte, beginnt er hier mit einem Unisono der tiefen Streicher, die von B aus zum tieferen As glissandieren. Dazu gegenstimmig sind die hohen Streicher geführt; lastende Akkorde der Blechbläser gesellen sich hinzu und bringen die Streicher zum Verstummen. In der pendelnden, gleichsam sich wiegenden Akkordik der Blechbläser, die durch Maracas und Pauke flankiert wird, hallt der Beginn des I. Satzes der Symphonie V (1987) nach, in dem Yun die Erinnerung an faschistische Vergangenheit thematisiert. Die Violinen antworten mit tremolierenden Klängen in hoher Lage. In der folgenden Taktgruppe kombiniert Yun Rufgesten der Holzbläser mit starren Blechbläserakkorden; letztere werden durch trillernde Klangbänder der Holzbläser zum Schmelzen gebracht.

Eine zarte, von vier Hörnern gespielte Kantilene steht am Beginn einer heftigen, in sich konfliktreichen Entwicklung mit rivalisierenden Klangprozessen zwischen den nun überwiegend simultan geführten Klangschichten (Holzbläser, Blechbläser, Schlagzeug, Streicher). Die zunehmende Massivität der Blechbläser, die eine freie Entfaltung der übrigen Gruppen verhindert, repräsentiert die Bedrohung durch die Außenwelt. Der kontinuierlich sich steigernde Klangfluß bricht auf seinem Höhepunkt abrupt ab.

Mit solistisch exponierten Instrumentalstimmen charakterisiert Yun dann in einem langsamen Mittelteil die ''reinen" Ideale der Jugend. Aus leisen solistischen Klanggesten entwickelt sich ein dichterer Tonsatz mit aktiverer Gestik der solistischen Instrumente. Yun thematisiert hier die Gedanken, die der Tat vorausgehen: "Selbstbefragung der 'Engel' "(Yun).

Ein Trompetensignal leitet über zum dritten Teil, der in sich wiederum dreiteilig angelegt ist (28 + 20 + 18 Takte). Stellvertretend für den einen "Engel", der die Tat vollbringt, steht hier die Harfe, die nun erstmals als Protagonist in einem zunehmend dramatisierten Prozeß auftaucht. Ratsche, Maracas, Woodblocks und Becken erklingen an der Peripetie der (vergleichsweise kurzen) Verbrennungsszene, dem Sturz des Engels in Flammen. Der weitere Verlauf, bei dem die Harfe, das Brandopfer, nur noch gelegentlich mit einigen wenigen Klängen präsent ist, widerspiegelt die Betroffenheit der Zuschauer in einer fast rituellen Klage. Auf ein großes erregtes Tutti folgt Stille und Stillstand – instrumentale, mit "elegico dolcissimo" und "tranquillo" bezeichnete Soli (1. und 2. Violine, Violoncello). Obwohl der tönenden Ratlosigkeit ein abschließendes Tutti mit bitterem Grimm antwortet, erscheint ein flirrender Schlußakkord der Streicher mit Tamtam-Wirbel und Harfe wie ein Auftakt zu einer anderen Klangwelt.

Auf den Wandel der Situation verweist in dem etwa sechsminütigen Epilog bereits die zwar reduzierte, aber dennoch erweiterte Besetzung mit einem Solosopran, Frauenchor und nur fünf Instrumenten. Dazu gehört das Stahlplattenklavier Celesta, dessen italienischer Name wörtlich übersetzt "die Himmlische" lautet. Yun organisiert hier aus einfachsten Bausteinen Elemente einer sphärenharmonischen Ferne: Sekunden, Quarten und Quinten dominieren in der horizontalen Dimension; Einklänge, aber auch Terzschichtungen in der vertikalen, harmonischen Dimension des Tonsatzes. Vier Soloinstrumente – Flöte, Oboe, Violine und Violoncello – unterstützen die Solosopranistin bei ihrem leisen, in etwa dreistrophigen und "vielleicht" doch "halbwegs" klagenden Gesang auf Silben wie "sa u a ye sa ye" oder "so ra a ga ya". Das Klangband des dreistimmig sich verzweigenden Frauenchors verleiht dem musikalischen Prozeß objektivierende Distanz.
Walter-Wolfgang Sparrer (1999)

Repertoire Note

Das Orchesterstück darf nicht ohne Epilog gespielt werden; der Epilog hingegen kann allein aufgeführt werden.

Subjects
Recommended Recording
cd_cover

Münchner Rundfunkorchester / Ulf Schirmer
Internationale Isang Yun Gesellschaft IYG 011

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