4(II,III=picc;III=afl).3.(III=corA).3(II=Ebcl,III=bcl).3(III=dbn)–4.3.3.1–timp.perc(4):I=vib/t.bells/2vibratone(wah-wah-tubes)/nipple gong/gong(med)/tam-t(med)/crash cym/anvil/metal wind chimes; II=glsp/6plate bells/gong(lg)/tgl(hi)/cym(lo)/2tpl.bl(hi,med)/wdbl(lo)/2bongo/4tom-t/pedal BD; III=6plate bells/2Chin opera gong(lg,sm)/ vibratone(wah-wah-tube)/tgl(hi)/xyl/brake dr/bell tree/BD/rute; IV=t.bells/crot/nipple gong/tam-t(lg)/anvil/SD/claves/wind machine-cel-harp-strings(14.12.10.8.6)
Abbreviations (PDF)
B&B
Das Orgelkonzert "Okeanos" ist viersätzig angelegt, verbindet zwei langsame und zwei rasche Teile in abwechselnder Folge und stellt der Orgel ein groß besetztes Orchester entgegen, das dem üblichen Instrumentarium noch vier Schlagzeuger hinzufügt – die Instrumenten-Palette bezieht hier neben verschiedenen Trommeln und Gongs u. a. auch Vibraphon, Glockenspiel, Röhrenglocken, Plattenglocken, zwei Vibratones sowie Windmaschine ein. Celesta und Harfe erweitern das klangliche Spektrum zusätzlich. Der Titel (Okéanos, Ozean, aber auch Ursprung der Welt) verweist laut dem Komponisten "auf eine Idee von immenser (und manchmal auch abgründiger) Größe und Weite, die der Gedanke an die Orgel bei mir hervorruft", wobei es ihm dabei "nicht um Klangmalerei in einem vordergründigen Sinn" ging. Und auch "sakrale Assoziationen", die "bei diesem Instrument oft unumgänglich erscheinen", sind vermieden worden – das Werk "wurde bewußt für eine Konzertsaal-Orgel konzipiert", die sowohl virtuose solistische Aufgaben erhält als auch immer neue Kombinationen und Dialoge mit den äußerst differenziert eingesetzen Orchesterfarben gestaltet. Äußerst intime, zarte Momente wechseln hier mit gleichsam spielerischem Konzertieren des Soloinstrumentes mit dem Orchester, aber auch mit ekstatischen klanglichen Ausbrüchen, die durch schnelle Tempi und prägnante Rhythmen zusätzlich an Schärfe gewinnen.
"Okeanos" folgt in seinem Ablauf dem Prinzip des "Goldenen Schnitts", das heißt, daß sich innerhalb der Ersteckung des Gesamtwerkes sowie der einzelnen Sätze die jeweilige Gesamterstreckung zu ihrem größeren Teil genauso verhält wie dieser größere Teil zu dem jeweils kleineren usw.; dadurch unterliegen die zeitlichen und formalen Proportionen des Werkes einer genau konzipierten Struktur. Durch den Titel ist auch von vornherein die Assoziation zu "Wasser" gegeben, dessen Bewegung im 1. Satz tatsächlich durch orchestrale "Wellen" wiedergegeben erscheint. Andere Charaktere besitzen dann die Sätze Nr. 2, 3 und 4, wofür die übrigen Elemente – Luft, Erde und Feuer – gleichsam als Ideengeber bzw. Versinnbildlichungen Pate standen.
Die den langsamen, dreiteilig angelegten 1. Satz (Viertelnote = 66) eröffnenden Akkordflächen der Streicher, die eine latente Abwärtsbewegung aufweisen (durch die Orgel allerdings einen statischeren Gegenpol erhalten), erfahren bald durch hochschnellende Bläser-Linien Kontraste und initiieren solcherart einen reich ausgestalteten Dialog. Ihm stellt dann die von Plattenglocken gestützte Orgel einen zweiten Gedanken entgegen, der eine weitere Ergänzung durch eine mit breiter Akkordik abwärtsführende Linie erhält. Der Mittelteil erscheint zunächst von sich über dunklem Streicher-Untergrund erhebenden durchbrochenen Bläser-Motiven charakterisiert, aus denen sich immer kräftigere Blechbläser-Linien bilden, die zu einem großen Höhepunkt führen. Aus ihm löst sich dann die kurze, den Glocken wesentliche Gestaltungen übertragende Reprise, die schließlich immer mehr verebbt und attacca in den 2. Satz führt.
Der 2., schnell dahineilende Satz (Viertel = 132) hebt mit virtuosen Figurationen der Orgel an, dem sich im Pedal bald akkordische Unterstützungen hinzugesellen, aus welcher Gegenpoligkeit eine Steigerung erwächst, die im Einsatz der Windmaschine gipfelt und so auf die "Luft"-Assoziation verweist. Im Mittelteil wird die Orgel wieder sehr solistisch eingesetzt, und sie entfacht dann auch ein kammermusikalisch gestaltetes Geflecht, bis nach einem weiteren Höhepunkt die Reprise anhebt und zu einem ungemein dramatischen, in dreifachem forte in den 3. Satz drängenden Aufschwung führt.
Dieser Satz ist wieder langsam (Viertel = 66) gestaltet; er vertritt gleichsam den Charakter des Elements "Erde" und wurde vom Bild einer weiten, die Klänge immer wieder als Echo zurückwerfenden Höhle inspiriert. Nach einleitenden, vom Schlagzeug kontrapunktierten Orgel-Bewegungen hebt eine "misteriös" wirkende Schichtung von Dreiklängen im Halbtonabstand an, welche Grundidee immer neue Ausprägungen erhält, bis Vibratones den Eindruck von Tropfen in einer Höhle hervorrufen und die Dreiklänge in einem zweiten Teil zu Halbtonfolgen werden. Auch hier erfahren deren Schichtungen immer neue Beleuchtungen, dann hebt im dritten Teil der Form breite Spektral-Akkordik an, die Halbtöne werden in weite Lagen gespreizt und von der Orgel noch solistisch kommentiert, ehe eine kurze Reprise des Eröffnungs-Abschnittes noch einmal reminiszenzartig das "Tropfen" in Erinnerung ruft.
Überaus virtuos ist das im Tempo gesteigerte Finale (Viertel = 140) angelegt, dessen zahlreiche Takt- und Rhythmuswechsel wie ein immer wieder aufflackerndes "Feuer" für breite Ausbrüche stets neu gestalteter Klänge sorgt. Eine entfesselte Steigerung der Grundmotivik (c2-f2-a2-cis3) und ihrer Varianten schließt den ersten Teil, dem nun ein geradezu kammermusikalisch transparenter, von Halbton- und Terzschichtungen der Orgel bestimmter Abschnitt folgt, dem sich erneut konzertierende, vom Soloinstrument entfachte Verdichtungen anschließen. Mit dichter Bewegung, die wie eine Conclusio der vorhergehenden Dialoge wirkt, wird sodann die variierte Reprise des ersten Teiles eingeleitet, deren reich gestaltete Durchführungen Elemente des zweiten Abschnittes einbeziehen und ihren Höhepunkt in einem ekstatisch vorbereiteten klangstarken Akkord finden, der die Orgel in dreifachem forte sieht. Nun entwickelt sich das Geschehen kurz zurück, drängt aber bald wieder mit Elementen des zweiten Abschnittes vorwärts, um schließlich mit dem akkordischen Einsatz der Eröffnungsmotivik die Coda zu erreichen. Hier erscheinen noch einmal einige Grundelemente des Finales angesprochen, bis die Orgel mit einer letzten Steigerung in vierfaches forte mündet und dann gemeinsam mit dem Orchester den Schlußakkord ausgestaltet.
"Okeanos", wurde von Bernd Richard Deutsch zwischen September 2014 und August 2015 in Wien sowie in Contovello (bei Triest) verfaßt, und zwar über Auftrag der Gesellschaft der Musikfreunde sowie des ORF-Radio-Symphonieorchesters Wien.
© Hartmut Krones (2015)
"Die Uraufführung des Orgelkonzerts Okeanos entpuppte sich als Geburtsstunde eines dieser in der Folge so genannten Meisterwerke, mit denen man nicht allzu reichlich verwöhnt wird ... [Deutsch] behandelt das riesige Orchester gerade so, als ob er es parallel zum virtuosen Orgelpart als ein einziges vielschichtiges Instrument erscheinen lassen will. Alles bleibt transparent, die Dichte ergibt ganz besonders dort Sinn, wo Details aus ihr heraus zur Entfaltung kommen, erblühen. ...
Okeanos ist ein gewaltiges Zeugnis künstlerischer Potenz, das man wiederhören will, das man wiederhören muss." (Christian Heindl, Österreichische Musikzeitschrift, 01/2016)
Paul Jacobs, organ / The Cleveland Orchestra / Franz Welser-Möst
TCO0001 ('A New Century', SACD or download)