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Vater der amerikanischen Oper
Ein Portrait des Komponisten Carlisle Floyd

von Laura Chandler

Carlisle Sessions Floyd (1926 – 2021), in South Carolina als Sohn eines Methodistenpredigers und dessen musikalischer Ehefrau geboren, war ein Pionier des US-amerikanischen Opernschaffens. Obwohl er auch Musik für andere Gattungen komponierte, galt sein Hauptaugenmerk immer der Oper, da er in ihr seine Interessen für die visuellen Künste, für das Theater und die Musik vereinen konnte.

Ernst Bacon, Floyds Klavierlehrer am College, drängte ihn – zu einer Zeit, in der die Oper in den Vereinigten Staaten größtenteils noch eher traditionell und eurozentrisch geprägt war – in Richtung des „amerikanischen Lagers“ der Opernkomposition. Der einzige echte Rat, den Bacon dem angehenden Komponisten gab, war, dem eigenen Instinkt zu folgen, und Floyd sollte dies sein ganzes Berufsleben lang beherzigen. Obwohl ihn mit den amerikanischen Südstaaten eine Art von Hassliebe verband, war er mit ihren Klängen – der Kirchen- und der Volksmusik, den Sprachmustern – innig vertraut. Er liebte das Theater, und Einflüsse des Broadway machten sich gelegentlich in seiner – anfangs umstrittenen – Musik hörbar.

In seiner sechs Jahrzehnte währenden Karriere komponierte Floyd zwölf Opern. Gänzlich undogmatisch war er davon überzeugt, dass amerikanische Komponisten die Pflicht hatten, Musik zu schreiben, zu der das Publikum einen Zugang finden konnte und durch die es zugleich in seinem Musikverständnis weitergebracht wurde. Aus diesem Grund komponierte er in einer damals als konservativ melodisch geltenden Tonsprache, deren Komplexität allerdings im Laufe seines Lebens zunehmen sollte.

Floyds Gewohnheit, sein eigener Librettist zu sein, begann mit seiner allerersten Oper, dem Einakter Slow Dusk (1949), enstanden und uraufgeführt während seiner Studienzeit, dem eine von ihm selbst verfasste Kurzgeschichte zugrunde liegt. (Slow Dusk wird auch heute noch häufig an Hochschulen aufgeführt.) Diese Praxis festigte sich mit seiner zweiten Oper Susannah, frei nach der biblischen Erzählung „Susanna im Bade“: Als ein Freund, der das Sujet vorgeschlagen hatte und ursprünglich auch das Libretto verfassen wollte, das Vorhaben dann aber nicht zustande brachte, schrieb Floyd sich den Text selbst. Und dabei blieb es bei allen weiteren Werken.

Die Uraufführung von Susannah fand im Februar 1955 an der Florida State University statt, wo Floyd an der Musik-Fakultät einen Lehrauftrag hatte; Phyllis Curtin, eine der führenden Sopranistinnen der New York City Opera, verkörperte die Titelrolle. Für einen jungen Komponisten kam es einem Ritterschlag gleich, dass eine Sängerin dieses Rangs in seiner ersten abendfüllenden Oper auftrat, doch Curtin war von Werk und Schöpfer gleichermaßen überzeugt. Ihr hatte Floyd es auch zu verdanken, dass Susannah im darauffolgenden Jahr – erneut mit Curtin in der Titelpartie – an der New York City Opera gespielt wurde. Es war ein riesiger Erfolg, und Floyds Karriere stand von nun an nichts mehr im Wege.

In Susannah – Floyds nach wie vor meistgespielter Oper – tritt die junge schöne Titelfigur für sich selbst ein und ihrer Heimatgemeinde entgegen, als sie ungerechterweise der Unmoral bezichtigt wird. Es werden Themen behandelt, die viel mit Floyds eigenen Beobachtungen und Erfahrungen zu tun hatten und in seinen späteren Opern wiederkehren sollten: die traditionelle Lebensweise der US-Südstaaten, religiöser Fundamentalismus, Heuchelei und vor allem das Leid des Einzelmenschen in einer engen, geschlossenen Gesellschaft.

Mit Susannah begann die Kritik, Floyd als Komponisten von „Volksopern“ (folk opera) einzustufen – eine Zuschreibung, die ihm missfiel, da er für sein Schaffen eine sehr viel weiter reichende Vision besaß. Seine nächste Oper war Wuthering Heights (uraufgeführt im Juli 1958 an der Santa Fe Opera) nach dem Roman von Emily Brontë, wie dieser in der englischen Hochmoor-Landschaft angesiedelt. Dieses Sujet hatte er nicht selbst gewählt, den Kompositionsauftrag aber nach späterer eigener Aussage zum Teil deshalb angenommen, weil er sich so deutlich von Susannah unterschied.

Mit The Passion of Jonathan Wade (uraufgeführt im Oktober 1962 an der New York City Opera) kehrte Floyd in die US-Südstaaten zurück. Die Oper spielt in South Carolina, ihr Protagonist ist ein Colonel aus den Nordstaaten, der während der Ära der Reconstruction – über die nach Floyds Empfinden die meisten US-Amerikaner nicht viel wussten – in den Süden entsandt wird. Das Publikum reagierte so begeistert, dass Floyd äußerst überrascht war, als Text und Musik danach von den Kritikern kühl aufgenommen wurden. Dies erschütterte sein Zutrauen – etliche Jahre später sollte er sich jedoch erneut dem Jonathan Wade zuwenden, mit einem gänzlich neuen Resultat.

Der Uraufführung von Jonathan Wade folgte eine fruchbare Zeit, in der Floyd sich ausführlich mit der Orchestrierungskunst von ihm bewunderter Vorbilder wie Ravel, Prokofjew, Strawinsky und Copland beschäftigte – nicht um sie nachzuahmen, sondern um von ihnen zu lernen. Er komponierte zwei Einakter: The Sojourner and Mollie Sinclair (uraufgeführt im Dezem­ber 1963), eine Komödie über schottische Einwanderer in North Carolina, entstanden aus Anlass des 300-jährigen Bestehens des Bundesstaats, und Markheim (März 1966) nach der Erzählung von Robert Louis Stevenson über einen Krämer, einen dekadenten Aristokraten und einen faustischen Handel. Für Phyllis Curtin schrieb er ein Monodram über das Leben Eleonore von Aquitaniens, das den Titel Flower and Hawk trägt (Mai 1972). Allen drei Opern war Erfolg beschieden.

In dieser Zeit entstand auch eine abendfüllende Oper, die von vielen als Floyds Meisterwerk angesehen wird: Of Mice and Men (uraufgeführt im Januar 1970 an der Seattle Opera). Sie basiert auf dem berühmten Roman von John Steinbeck und wurde für ihre reiche Orchestrierung, straffe Handlung und die musikalische Charakterisierung der Personen gepriesen.

1971 hatte David Gockley, designierter Generaldirektor der Houston Grand Opera für die Saison 1972/73, Floyd bei einem Treffen gefragt, ob er nicht eine neue Oper für Houston kreieren wolle. Dies war der Beginn einer dauerhaften Verbindung zwischen einem Opernhaus und einem Komponisten, die in den Vereinigten Staaten ihresgleichen sucht: Alle fünf Opern, die Floyd noch schreiben sollte, erlebten ihre Uraufführung an der Houston Grand Opera. Deren erste und zugleich Floyds erklärte Lieblingsoper war Bilby’s Doll (uraufgeführt im Februar 1976). Sie basiert auf Esther Forbes’ geistreichem Buch A Mirror for Witches (1928) und spielt zur Zeit der Salemer Hexenprozesse im puritanischen Neuengland. In diesem psychologischen Thriller erleidet die Protagonistin Doll Bilby ein unaussprechliches Trauma, als sie mitansehen muss, wie ihre Eltern wegen Hexerei verbrannt werden, und sie beginnt zu glauben, selbst eine Hexe zu sein.

Im April 1981 fand die Uraufführung von Willie Stark statt. Das Werk basiert auf All the King’s Men von Robert Penn Warren. Vorbild für die Titelpartie war Huey Long, der umstrittene frühere Gouverneur von Louisiana. In der Oper ist Willie zunächst ein bescheidener Beamter, der jedoch nach seinem Aufstieg an die Macht das System höchst listenreich zu manipulieren beginnt und sich dabei immer mehr selbst verliert.

In den 1980er Jahren nahm Floyd erneut seinen Jonathan Wade in den Blick und kam gemeinsam mit Gockley zu dem Schluss, dass das Stück ein Revival wert wäre. Er machte sich an eine Überarbeitung, deren Resultat am Ende ein ganz neues Bühnenwerk war. Die Uraufführung der neuen Fassung fand im Januar 1991 in Houston statt. Die Oper stellte sich nun stilistisch viel ausgereifter dar: Zwar enthielt sie nach wie vor vertraute Formen (zum Beispiel ein Spiritual), doch zeigte sie größere rhythmische Vielfalt, und es kamen ungleich mehr dissonante Klänge und komplexe Harmonien zum Einsatz. Dieses Mal fand sie bei Publikum und Presse gleichermaßen großen Anklang.

Fast ein Jahrzehnt später, im April 2000, kam mit Cold Sassy Tree Floyds einzige abendfüllende komische Oper zur Uraufführung. Inspiriert von Olive Ann Burns’ gleichnamigem Roman, spielt die Oper in der Kleinstadt Cold Sassy Tree in Georgia. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Beziehung zwischen dem einflussreichsten Bürger der Stadt und einer viel jüngeren Frau (die dazu noch eine Yankee ist). Publikum und Kritiker waren gleichermaßen begeistert, und die Oper hätte einen passenden Schlusspunkt einer singulären Karriere abgegeben.

Doch Floyd sollte schließlich noch eine weitere Oper hervorbringen: Der Film Stage Beauty faszinierte ihn so sehr, dass er aus dem Stoff ein Musiktheater machen wollte. Sein dramatischer Instinkt wurde durch das Dilemma der Hauptperson geweckt: des Schauspielers Edward Kynaston, der in England zu der Zeit, als Frauen nicht auf der Bühne auftreten durften und ihre Rollen von Männern übernommen werden mussten, diese Kunst perfektioniert hatte – bis König Charles II. dieser Kunst den Boden entzog und Männern das Auftreten in Frauenrollen untersagte. Mit diesem Werk (Prince of Players, uraufgeführt im März 2016) brachte Floyd Themen wie Geschlecht und Identität, die in seinen Werken so bisher nicht zur Sprache gekommen waren, erstmals auf die Opernbühne.

Zum Zeitpunkt seines Todes am 30. September 2021 hatte Floyd alle seine künstlerischen Pläne in die Tat umgesetzt. Man pries ihn weithin als ersten Schöpfer amerikanischer Opern, dessen Werke regelmäßig aufgeführt wurden – ein anerkannter Meister der Komposition für Gesangsstimme und der knappen, dramatischen Handlungsführung. Und mehr noch: ein Pionier, der den nachfolgenden Kreativen den Weg bereitet hat.


Laura Chandler war viele Jahre lang Direktorin für Veröffentlichungen an der Houston Grand Opera. – Übersetzung aus dem Englischen: Konstanze Höhn.

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