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Eine Einführung in die Musik Holloways von Julian Anderson

Die neue britische Musik hat es im großen und ganzen vermieden, sich in vorab definierten Schulen und Fraktionen einzurichten, und statt dessen einen ausgesprochenen Sinn für Vielfalt und persönliche Eigenarten an den Tag gelegt. Insofern ist der Weg, den Robin Holloways Schaffen in den letzten dreißig Jahren genommen hat, mit seinen vielen Umwegen, unerwarteten Abstechern und oft widersprüchlichen stilistischen Tendenzen typisch für die Musikkultur, aus der es erwachsen ist; die schiere Beharrlichkeit, mit der Holloway seine unterschiedlichen musikalischen Neigungen weiterverfolgt, ja sogar kombiniert, ist dagegen mit Sicherheit einzigartig.

Als junger Komponist eignete sich Holloway rasch die damals gängigen Verfahren der seriellen und postseriellen Komposition an und meisterte sie in Form von mehreren straffen, streng gefügten, für die 60er Jahre typischen Werken wie der bemerkenswert flüssigen Garden Music op. 1 für Nonett, dem Concerto for organ and wind und den ersten beiden Concertinos. Obwohl Holloway diesen Stil heute rückblickend als "konstruktivistisch atonalen Hindemith" abtut, ging aus der genannten Phase zumindest ein eindrucksvoll expressives Stück hervor, das First Concerto for Orchestra von 1969; die besondere Wirkung des Werks ergibt sich zum Teil aus der erkennbaren Spannung zwischen den mit rigoroser Konsistenz angewandten seriellen Verfahren und dem fast neoromantischen Überschwang der Musik selbst, die überdies umfangreiche Zitate aus Liedern von Brahms enthält. Im folgenden Jahr spitzte sich die Sache zu mit Scenes from Schumann, einer freien Paraphrase über sechs Schumann-Lieder, in denen Holloway mit Leidenschaft all das zurückforderte, "was der Zeitgeist verbot" – eine zärtliche Umarmung der Harmonik der deutschen Hochromantik, die das Grundmaterial allen möglichen Verzerrungen, freien Assoziationen und Neuharmonisierungen unterwirft. Dabei schien es sich um eine bewußte Reaktion gegen alles zu handeln, was seine eigene frühe Musik verkörpert, um eine dauerhafte Abkehr vom Konstruktivismus, hin zu Spontaneität und Freiheit des Ausdrucks.

Wie bei Holloway üblich ging dies nicht so einfach vonstatten. Den Scenes folgten zwei weitere an Schumann orientierte Stücke, die den neu entdeckten Wohlklang des ersten Werks weiterführten – die Fantasy Pieces und das große Orchesterwerk Domination of Black, die sich auf Schumanns Liederkreis bzw. seine Kerner-Lieder bezogen. Das letztgenannte der beiden Werke offenbart übrigens, wie weit Holloways Meisterschaft im Umgang mit dem Orchester seit seinem Verzicht auf konstruktivistische Kargheit gediehen war: Es reicht von der hauchfeinen Zartheit des ersten Satzes Summer Rain über spätromantische Waldmusik bis hin zur wilden Jagd des dritten, Night Hunt überschriebenen Satzes, immer bewältigt mit vollendeter Gewandtheit und mit Selbstvertrauen. Außerdem jedoch ist in diesem Werk ein finster dissonantes polyrhythmisches Adagio enthalten (ebenfalls Domination of Black betitelt), das erkennen läßt, daß die Lehren der Moderne nicht vergessen waren, und im Jahr zuvor hatte eine originelle Auftragskomposition für die London Sinfonietta mit dem Titel Evening with Angels nahegelegt, daß Holloway unter Beibehaltung seines persönlichen harmonischen Stils zur modernistischen Kompositionsweise zurückfinden könnte.

Wie sich herausstellte, war dies der Fall, "doch nun", so Holloway, "hatte die Musik etwas hinter sich, etwas wie Harmonie, Orientierung, lebhafte Bewegung, ein Gespür für instrumentale Klangfarben". In der Tat waren einige von Holloways eindrucksvollsten und erfolgreichsten Leistungen jene, die besonders komplex und gewissenhaft konstruiert waren, vor allem das mächtige Second Concerto for Orchestra (ein üppiges, kunstvolles Gewirk, in das Fragmente von Chopin und populäre Melodien englischer und italienischer Herkunft eingearbeitet sind und das den Konstruktivismus deutlich hörbar macht, indem es allgemein bekanntes Grundmaterial verwendet) sowie das soeben fertiggestellte Third Concerto, eine athematische Übung in reiner Struktur und möglicherweise Holloways bislang am weitesten gehendes Werk.

Andererseits bedeuten solche Leistungen nicht, daß Holloway das Bedürfnis hat, seine eingefleischte Neigung zu tonaler harmonischer Praxis aufzugeben, insbesondere in ihren spätromantischen Manifestationen; diese Seite seiner kreativen Persönlichkeit erreicht wohl die höchste Ausprägung in seiner ersten Oper Clarissa. Die Oper, ohne Auftrag in einem einzigen intensiven Erguß 1976 komponiert (und 1990 von der English National Opera erstmals auf die Bühne gebracht), ist eine tiefempfundene persönliche Aussage, die anschaulich die beengende Schicksalhaftigkeit der Beziehung zwischen der Heldin und ihrem Bewunderer, aber späteren Vergewaltiger Lovelace schildert; sie tut dies mit Musik, die in ihrer Intensität und Üppigkeit an Alban Berg gemahnt. Holloways Romantik tritt ebenso offen zutage in unverblümt warmherzigen und unmittelbar eingängigen Orchesterwerken wie Seascape and Harvest, Panorama, den drei Idylls für kleines Orchester und dem Chor- und Orchesterwerk The Spacious Firmament, einem wertvollen Beitrag zur Tradition der britischen Chormusik.

Daneben hat Holloway seine Fähigkeit bewiesen, erlesene Musik im kleinsten Maßstab zu schreiben; das belegen die zahlreichen Divertimentos, Serenades und die fünfteilige Reihe der Concertinos. Das ist Musik, die aus reiner Freude am Komponieren entstanden ist, um auf der unmittelbarsten Ebene des Musizierens und der Liebe zur Musik gewürdigt und genossen zu werden. Demgemäß werden Ensembles, die sich Holloways Gesamtwerk ansehen, darin eine Vielzahl witziger und anspruchsvoller Kammermusikwerke entdecken, die sich als hochwertige Ergänzung manch eines Repertoires erweisen. Das gilt im wesentlichen auch für die fortlaufende Serie der Konzerte für Horn, Violine, Harfe und andere Instrumente, die allesamt idiomatisch komponiert und voller launig unberechenbarer Formen und Redewendungen sind.

Wenn es auch den Anschein hat, als bestünde zwischen derlei Musik und der Vielschichtigkeit der drei Orchesterkonzerte ein großer Abstand, kommt doch der Verdacht auf, daß Holloway regelrecht Geschmack findet an den Kontrasten zwischen seinen unterschiedlichen musikalischen Ausdrucksformen, so sehr, daß er tätig bemüht ist, jedes Stück vom vorangegangenen soweit abzuheben, wie er nur kann. Er selbst hat zugegeben: "Man wendet sich wie eine dankbare Pflanze allen möglichen sehr verschiedenen Komponisten zu, die man spannend und angenehm findet, und vergilt, was man von ihnen nimmt, mit einer stilistischen oder technischen Hommage." Bei näherer Bekanntschaft fällt jedoch jenseits der oberflächlichen stilistischen Unterschiede auf, daß die reichhaltige harmonische Sprache, das Gespür für lange, schwungvolle Linien und leuchtende Klangfarben durchgehend von einem Stück zum nächsten für Holloway typisch sind; und es ist die erstaunliche Fähigkeit, sich in diesem höchst verschiedenartigen und mannigfaltigen Oeuvre eine stark individuelle Musikalität zu bewahren, die Holloways Werken, seien sie groß oder klein angelegt, konstruktivistisch oder romantisch, das klare Gepräge einer Stimme verleiht, die ebenso urpersönlich wie unverkennbar ist.

Julian Anderson, 1995
(Komponist, Rundfunkjournalist und Autor in Sachen Musik)
Die Zitate im englischen Text wurden allesamt dem Interview mit Holloway in Paul Griffiths New Sounds, New Personalities (Faber Music, 1985) entnommen.

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